Geliebte Fälscherin (German Edition)
denken, dass sie überhaupt nicht hierher passte.
Als sie ihren Platz erreichte – beziehungsweise den Platz, der ihrer gewesen war – stand eine Zigarrenkiste neben dem Gedeck. Die duftenden Taschentücher waren verschwunden. Ebenso wie Sutton. Sie war schon fast bei der Tür, als ihr etwas einfiel, und sie ging leise zurück, um ihre Tischkarte zu holen, auf der ihr Name stand. Aber sie war auch fort. Danke, Sutton.
Auf dem Flur traf sie Cordina und eine Schar anderer Dienstboten, die die Treppe heraufkamen.
In Schwarz gekleidet und mit einer gestärkten Schürze trug Cordina ein Silbertablett, das mit ihrem berühmten Schweinerostbraten beladen war. Cordina schob ihre Brust vor. „Wir haben das Essen fertig, Miss Laurent, und jetzt …“ Sie runzelte die Stirn und blieb auf dem Flur stehen. „Was ist passiert, Kind?“
Claire schüttelte den Kopf. „Nichts. Alles ist in bester Ordnung. Ich habe nur …“ Sie erblickte Mrs Routh, die Mr Polk durch den Gang führte. Sie lächelte und machte einen Knicks, als er an ihr vorbeiging. Sie blieb ein bisschen länger unten als gewöhnlich, damit er ihr Gesicht nicht sehen konnte. Dann erhob sie sich wieder. „Es ist alles in Ordnung, Cordina. Tragen Sie bitte das Essen auf. Mrs Acklen ist so weit.“
Mit einem Blick, der ihr verriet, dass sie ihr nicht glaubte, eilte Cordina mit ihrer Gefolgschaft weiter. Claire warf einen Blick ins Familienesszimmer und sah Miss Cenas mit William, Claude und Pauline darin sitzen, aber sie hatte keinen Hunger mehr. Sie eilte durch den großen Salon und konnte es nicht erwarten, ihre Zimmertür hinter sich zuzuziehen. Als sie um die Ecke bog, sah sie Sutton, der mit einer ungeöffneten Packung Taschentücher in der Hand auf dem dunklen Gang auf sie wartete.
Sie konnte ihre Tränen nicht länger zurückhalten. Er wollte etwas sagen, aber sie hob die Hand. „Bitte, Sutton. Nicht jetzt. Ich …“ Sie atmete ein. „Ich bin dir dankbar für das, was du getan hast, aber ich muss im Moment einfach allein …“
Er zog sie an sich und hielt sie mit seinen kräftigen Armen fest, die sich schützend und abschirmend um sie legten. Ihre Tränen kamen unaufhaltsam, sodass sie richtig geschüttelt wurde. Sie hatte Mühe, Luft zu bekommen, da sie so sehr schluchzen musste. Es machte ihr zuerst Angst, welche Tränenströme aus ihr hervorbrachen. Und ihr wurde bewusst, dass die Tränen nicht nur wegen Sutton und dem, was gerade eben und vor einigen Stunden passiert war, flossen. Es war, als würde jede Träne, die sie seit Monaten – seit Jahren – zurückgehalten und tief in sich hineingestopft hatte, gegen diese Unterdrückung rebellieren.
Sie hatte sich so sehr bemüht, für ihre Mutter in den Monaten ihrer Krankheit und in ihren letzten Tagen stark zu sein. Später dann für Papa und für sich selbst. Aber jeder Mensch konnte nur bis zu einer bestimmten Grenze stark sein. Und dann …
Sie lösten sich voneinander. Und etwas in ihr zerbrach. Etwas, von dem sie nicht glaubte, dass sie es je wieder zusammenfügen könnte. Nicht so, wie es gewesen war.
Beschämt, weil Sutton sie in dieser Verfassung sah, unternahm sie einen halbherzigen Versuch, ihn von sich wegzuschieben, aber er hielt sie nur noch fester. Sie legte die Arme um ihn und klammerte sich an ihn, als wäre er der letzte Halt auf dieser Welt.
„Claire, es tut mir leid“, flüsterte Sutton in ihr Ohr. „Cara Netta und ich kennen uns schon sehr lange. In den Monaten, in denen wir durch Europa reisten, lernten sie und ich uns besser kennen. Und wir … kamen zu einem Einvernehmen. Ich hätte dir schon längst von ihr erzählen sollen.“ Er zog leicht den Kopf zurück und schaute sie auf eine Weise an, die Claire niemals vergessen würde. In seinen Augen lag eine Endgültigkeit. Und eine Traurigkeit. „Es war falsch von mir, nichts zu sagen, und dafür entschuldige ich mich. Aber der Grund, warum ich nichts gesagt habe, war …“
Sie hielt ihm kurz eine Hand auf den Mund. „Du musst mir das nicht erklären, Sutton. Ich kenne den Grund“, flüsterte sie, während ihr Kopf zu pochen begann. Sie wollte sich einfach in ihr Bett legen und sich zusammenrollen. Für immer. „Und glaube mir, wenn ich dir sage, dass ich dich verstehe.“
Er schaute ihr fragend in die Augen. „Wirklich?“, fragte er schließlich.
„Ja.“ Sie atmete zitternd ein. „Du und ich sind Freunde. Gute Freunde, und das ist für mich etwas sehr Kostbares. Aber ich erwarte von dir nicht mehr.“
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