Geliebte Gefangene
einer gewissen Ehrerbietung Konversation machte – und außerdem den freimütigen Flirt mit Harry wieder vergaß –, dann konnte sie sich vielleicht ihren Weg freireden.
Zumindest war es einen Versuch wert.
„Ja, Madam, ich war die Gouvernante von Lady Wheelers Söhnen“, erklärte sie würdevoll. „Doch nun, da endlich auch der Jüngste zusammen mit seinem Bruder zur Schule geht, wurde ich auf Iron Hill nicht mehr benötigt und habe daher eine neue Anstellung bei einer Familie in Winchester gefunden.“
Mrs. Mallon nickte. „Lady Wheeler hat so reizende Jungs“, sagte sie herzlich. „Und um Lady Wheeler willen bin ich bereit, Ihnen aus dieser … dieser anstößigen Situation herauszuhelfen.“
„Aus welcher anstößigen Situation, Mrs. Mallon?“, fragte Harry jetzt unschuldig – besser gesagt war es seine ureigene finstere Darstellung von Unschuld –, während er zur Kutsche trat, um an ihrer Unterhaltung teilzuhaben. Im Schlepptau folgte ihm Charleck wie ein Hündchen. „Nur das Mondlicht zeigte mir den Weg, als ich diese Dame rettete, und etwas Diskreteres als Mondlicht gibt es doch wohl nicht.“
„Nicht, wenn man es mit Ihnen teilt, Mylord“, erwiderte Mrs. Mallon voller Verachtung.
„Oh“, meinte er trocken. „Jetzt haben Sie mich aber getroffen, Madam. Doch wenn ich Miss Potts verteidige, dann nicht, weil sie sich Ihnen gegenüber nicht selbst verteidigen könnte. Natürlich könnte sie es. Sie zieht es nur vor, es nicht zu tun, weil sie viel zu gut erzogen ist, um sich in Ihre Niederungen zu begeben.“
„Sie spricht nicht für sich, weil sie eine Gouvernante ist“, sagte Mrs. Mallon abschätzig. „Es steht ihr nicht zu, Meinungen zu haben. Sie, als Gentleman und Peer, müssten das eigentlich wissen.“
Charleck trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. „Nun, nun, Schwester. Jetzt trägst du vor seiner Lordschaft aber ein wenig dick auf, nicht wahr?“
Auch wenn Harry immer noch lächelte, war jäh alle Fröhlichkeit aus seinem Gesicht gewichen. „Ich erinnere mich an vieles, was Miss Potts betrifft“, sagte er ruhig. „Und ganz besonders erinnere ich mich daran, dass sie zweifellos eine Dame ist.“
„Aber das ist sie ganz und gar nicht“, erklärte Mrs. Mallon hoheitsvoll, während sie Sophie zu sich winkte und die Warnung ihres Bruders ignorierte. „Sie ist eine Gouvernante , Mylord, und was immer Sie für Erinnerungen an sie haben mögen, so können sie nicht älter als diese Nacht sein.“
„Da irren Sie sich, Madam“, sagte Harry. Als Sophie jetzt das vertraute herausfordernde Funkeln in seinen Augen sah, fragte sie sich, ob Mrs. Mallon ahnte, auf was sie sich da einließ. „Ich kenne Miss Potts seit, oh seit den süßen Tagen von Eden.“
Mrs. Mallon warf den Kopf in den Nacken, um Harry besser von oben herab anstarren zu können. „Sie sind ein Verirrter, Mylord.“
Er machte eine tiefe Verbeugung bis auf seine Reitstiefel hinunter und unterstrich sie noch mit einer höfisch elegant verschnörkelten Handbewegung. „Nicht mehr als Sie, Madam. Und wenn ich auch noch so sehr ein Verirrter sein mag, so blecke ich doch nicht die Zähne und zische wie ein Medusenhaupt, um andere zu erschrecken, so wie Sie es tun.“
Mrs. Mallon sog heftig die Luft ein, und ihr Mund formte sich dabei zu einer zerknitterten Rosenknospe der Fassungslosigkeit. „Sie haben das Benehmen eines Schakals, Mylord“, sagte sie scharf, „und ich bin nicht bereit, Ihre Anwesenheit auch nur einen Augenblick länger zu ertragen. Kommen Sie, Potts, hierher.“
„Madam?“ Mehr wagte Sophie nicht zu sagen. Doch während es ihr nicht gefiel, wie ein ungezogener Hund bei Fuß gerufen zu werden, gefiel ihr sehr gut, was Harry über sie gesagt hatte, all das, was sie selbst nicht hätte sagen können. „Madam?“ „Stehen Sie nicht da wie eine Gipsfigur auf einem Kaminsims, Potts“, sagte Mrs. Mallon bissig. „Ich werde persönlich dafür sorgen, dass Sie in Winchester ankommen, ohne dass Ihnen zuvor von diesem Schuft hier noch ein Leid angetan wird. Oder von den anderen Schurken, die entlang dieser Straße auf der Lauer liegen.“
„Hüte deine Zunge, Schwester“, warnte Charleck inständig. „Atherwall ist ein Earl, kein Schuft.“
„Ach, sei still“, fauchte seine Schwester. „Ich will, dass Potts hier mit uns in der Kutsche reist, damit niemand ihr etwas Übles nachsagen kann.“
Der Diener öffnete die Kutschentür und ließ die kleine Treppe herunter. Doch als die
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