Geliebte Gefangene
alte Frau Sophie einzusteigen befahl, erwachte ein winziger Funken von Rebellion in deren Brust und begann zu glühen.
Vielleicht hatte Mrs. Mallons herablassende Art diesen Funken entzündet, vielleicht hatte er aber auch zu glimmen begonnen, als Sophie Harry geküsst hatte, bis sie glaubte, sie würden über dem Gras schweben. Oder es war ganz einfach dieses Mondlicht, das ihr den Verstand verwirrte und sie dazu brachte, sich zu fragen, wieso sie sich eigentlich über die Meinung anderer solche Gedanken machte und sich sorgte, ob sie gut oder schlecht über sie dachten oder vielleicht sogar das Schlimmste von ihr annahmen.
Zwei Mal in dieser Nacht war Harry der früheren Sophie zu Hilfe geeilt, jener Sophie, die kühn und freimütig gewesen war und sich den Teufel um andere Meinungen außer der ihren gekümmert hatte. Und da er das getan hatte, musste ihm diese andere Sophie etwas bedeuten. Um ihretwillen war er vor die Gewehrmündungen getreten und stellte sich jetzt Mrs. Mallons Worten, die mit ihrer Schärfe auch verletzen und Narben hinterlassen konnten.
Er tat es für sie. Für sie, Sophie Potts .
Sie drehte sich um und errötete, als sie bemerkte, dass er sie bereits beobachtete. Um sie herum musste sich wohl ein halbes Dutzend Leute befinden – Mrs. Mallon, Lord Charleck, die Wachleute, der Kutscher und die Diener –, doch als Sophie jetzt Harrys Blick spürte, war ihr, als wären sie beide auf wunderbare Weise wieder völlig allein.
Sie musste sich energisch in Erinnerung rufen, dass sie es natürlich nicht waren. Nichts in ihrem Leben geschah mit einer solchen Leichtigkeit. Genauso wenig wie eine Kutsche mit einer verdrießlichen alten Frau, deren Bruder und einer Menge anderer Leute einfach aus ihrem Leben verschwand.
„Kommen Sie, Potts“, befahl Mrs. Mallon. „Trödeln Sie nicht herum und kommen Sie sofort her. Es zieht durch die offene Tür. Meine Knie halten das nicht noch länger aus.“
Doch Sophie rührte sich immer noch nicht. Bisher war sie stets der Meinung gewesen, im Leben ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. Es war ihr Entschluss gewesen, Harrys Briefe ungeöffnet zurückzuschicken, um so ihrem sterbenden Vater die Sorge zu nehmen. Es war auch ihr Entschluss gewesen, Gouvernante zu werden und sich so den Lebensunterhalt zu verdienen. Und nun konnte sie sich für Mrs. Mallons Kutsche, Sir Williams Kinder und eine Sicherheit bietende, langweilige Ehrbarkeit entscheiden oder für Harry und für … nun, was immer Harry ihr bieten würde.
Das war die Wahl, die sie treffen konnte.
Ein Kaminfeuer und ein festes Dach über dem Kopf oder Regen, Sterne, Mondlicht und taufeuchtes Gras unter den Füßen.
Sie konnte den Rest ihrer Tage auf den ausgetretenen Pfaden der letzten zehn Jahre gehen, oder eine Nacht voller Abenteuer und Leidenschaft wählen.
Vorhersehbarkeit oder Verderben.
Sicherheit oder Harry.
Sie reckte das Kinn, straffte die Schultern und sah der älteren Frau in die Augen, ohne mit der Wimper zu zucken. „Es tut mir sehr leid, Mrs. Mallon“, sagte sie entschlossen, „doch ich bedauere, Ihr Angebot nicht annehmen zu können.“
Unter den steifen Locken ihrer Perücke kniff Mrs. Mallon die Augen zusammen. „Können Sie nicht oder wollen Sie nicht, Potts?“
Es war Harry, der für sie antwortete. „Kann nicht, soll nicht, will nicht, wird nicht und Vergissmeinnicht obendrein“, sagte er. „Ich frage Sie, Madam, wie viel deutlicher soll das arme Mädchen denn noch werden?“
Langsam trat Sophie an seine Seite. Sie sah ihm nicht seelenvoll in die Augen, noch ergriff sie seine Hand oder gab sonst wie ein närrisches Schauspiel zum Besten. Neben ihm zu stehen gab ihr Sicherheit genug. Er war da, bei ihr. Sie waren wieder Partner, Verschwörer, Liebende.
Und wenigstens in dieser einen Nacht, bis zu dem Augenblick, wo das Mondlicht in der Dämmerung schwinden würde, wäre sie nicht allein, sondern bei Harry.
„Ich danke Ihnen, Mrs. Mallon“, sagte sie, „und auch Ihnen, Lord Charleck, aber ich habe meine Entscheidung getroffen. Ich werde auch weiterhin mein Vertrauen in die Begleitung Seiner Lordschaft setzen. Ich werde mit ihm reisen.“
„In Begleitung dieses Mannes reisen Sie geradewegs zum Teufel“, prophezeite ihr Mrs. Mallon mit grimmiger Entschiedenheit. „Ich bin fertig mit Ihnen, Potts. Und genau das werde ich auch Lady Wheeler erzählen. Komm, Bruder, überlassen wir diese beiden ihrer … ihrer Torheit und ihrer Verdorbenheit.“
Sophie fügte
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