Geliebte Gefangene
dem, was sie bereits gesagt hatte, nichts mehr hinzu. Stattdessen stand sie stolz und schweigend da, die Ar me über der Brust verschränkt, und sah zu, wie Lord Charleck hastig einen Abschiedsgruß murmelte und sich in die Kutsche neben seine wütende Schwester hievte. Der Kutscher knallte einmal mit der Peitsche über dem Rücken der Pferde, und die Kutsche kam schwankend ins Rollen. Die berittene Wache folgte ihr hinterdrein. Es dauerte nur einen kurzen Augenblick, und das unter dem Brückenbogen tanzende und plätschernde Wasser und die verschlafenen Piepslaute der Vögel oben in den Zweigen waren wieder die einzigen Geräusche.
Mit klopfendem Herzen drehte Sophie sich endlich zu Harry um, nur um zum zweiten Mal in dieser Nacht festzustellen, dass er sie bereits ansah. Auf seinem Gesicht lag ein so offenes, strahlendes Lächeln, das ihn in ihren Augen mit einem Schlag um Jahre jünger erscheinen ließ.
„Ich kann es nicht fassen, Sophie. Du bist bei mir geblieben“, sagte er ungläubig. „Du hast es für mich getan.“
„Wegen allem, was du für mich getan hast, Harry.“ Es schnürte ihr die Brust zu, da sie nicht wusste, was jetzt als Nächstes geschehen würde. Und trotzdem. Hätte ihr Leben an einem seidenen Faden gehangen – und vielleicht traf das sogar auf gewisse Weise zu –, es wäre ihr nicht möglich gewesen, die Augen von ihm zu wenden.„Deswegen bin ich geblieben. Wegen dieser Nacht. Deinetwegen.“
„Deinetwegen“, wiederholte er leise und antwortete auf ihre Ehrlichkeit mit seiner eigenen. „Deinetwegen.“
Sophie konnte seinen eindringlichen Blick nicht mehr ertragen und sah rasch zu den Pferden hinüber. „Aber es ist keine Verdorbenheit, wie Mrs. Mallon behauptet, noch Torheit. Und du wirst mich auch nicht geradewegs in die Hölle führen.“
„Eigentlich habe ich genau das vor“, sagte er. „Obwohl du ihnen wirklich jeden Grund gegeben hast, anzunehmen, ich hätte es bereits getan.“
„Das habe ich nicht“, protestierte Sophie empört. „Dass ich mich weigerte, mit ihnen in ihrer dummen Kutsche zu fahren, war das einzig Skandalöse, was ich getan habe!“
„Du musstest auch gar nichts sagen, Kleines.“ Er sprach jetzt leise, seine Stimme klang tiefer und hatte jenen rauen Ton, der Sophie erschauern ließ. „Charleck und seine Schwester mussten dich nur ansehen, um die Wahrheit zu erkennen.“
„Und was für eine Wahrheit soll das sein?“, spottete sie trotzig. „Sei vernünftig, Harry.“
„Das bin ich“, meinte er und streckte die Hand aus. Zärtlich streichelte er ihr die Wange. „Du hast zwar versucht, wieder die Rolle der Gouvernante zu spielen, hast dir das Haar straff nach hinten gestrichen und dieses grimmige Gesicht aufgesetzt. Nur hat es dieses Mal nicht funktioniert. Dieses Mal konntest du dir nicht den Anschein der Ehrbarkeit geben. Es war zu spät. Dir stand die Wahrheit ins Gesicht geschrieben, meine liebe Sophie.“
Er ließ die Fingerspitzen von ihrer Wange zu den Lippen wandern und strich mit dem Daumen über ihre Unterlippe, die immer noch leicht geschwollen war von den Küssen, die sie getauscht hatten. „Das hier ist die Wahrheit. Alle Welt kann sie sehen. Dieser Mund gehört keiner ehrsamen Gouvernante, sondern einer Frau, die gerade mit ihrem Liebhaber erwischt wurde.“
Ihr Liebhaber? Kein Wunder, dass ihr Herz so raste. Er hatte ja recht! Wieso hatte sie es nicht selbst erkannt? Als Harry und Lord Charleck sie so seltsam ansahen, war es gar nicht wegen eines vermeintlichen Papageis auf ihrem Kopf gewesen, sondern wegen Harrys Kuss, von dem ihre Lippen aller Welt stolz verkündeten.
Doch war es nicht gerade das, was sie sich für diese Nacht erwählt hatte: den Kuss eines Liebhabers und die Erinnerung daran, die sie für immer begleiten würde? Sie presste die Lippen auf seinen Daumen und küsste seinen Finger, wie sie zuvor seine Lippen geküsst hatte. Jetzt, in diesem Augenblick, war sie nicht Miss Potts. Sie war nur noch Sophie, und er gehörte ihr.
„Was wird nun als Nächstes geschehen, Harry?“, fragte sie atemlos. „Wo gehen wir hin?“
„Zu einem Ort, wo ich dich mit niemandem teilen muss“, antwortete er. „Wir werden nach Hartshall gehen.“
7. KAPITEL
„Hartshall?“, fragte Sophie leicht verwirrt und hörte auf, seine Hand zu liebkosen.
Harry überlegte, dass jetzt eigentlich nicht der richtige Moment für Erklärungen war, wo Sophies Gedanken doch gerade eben in eine andere, viel angenehmere Richtung
Weitere Kostenlose Bücher