Geliebte Gefangene
schmerzhaften Stich, ihn so entspannt zu sehen. Es war, als hätte sie einen anderen Mann vor sich. Er erinnerte sie an die Zeit, die sie vor so vielen Jahren zusammen verbracht hatten, auf der Jagd, mit den Falken, beim Tanzen … Wieder stiegen die Erinnerungen in ihr auf, beunruhigend in ihrer Intensität.
„Wie gut gelaunt er ist“, sagte Edwina listig. „Was für ein attraktiver Mann.“
„Ach, Unsinn“, erwiderte Anne kurz. „Du vergisst, Edwina, dass Lord Greville nicht mehr als ein abtrünniger Soldat ist, der den König verraten hat.“
Sie wollte sich gerade vom Fenster abwenden, als Simon sich umdrehte und eine Hand zum Gruß hob. Sein Lächeln war strahlend und voll reumütiger Anerkennung seiner Niederlage. Es lag so viel Gefühl in diesem Lächeln, dass Anne, bevor sie es noch wusste, zurücklächelte. Hastig rief sie sich wieder zur Ordnung.
Simon drehte sich um, wechselte ein paar Worte mit Standish und kam dann, zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinauf.
„Da kommt er“, sagte Edwina.
„Ich hoffe nicht“, erwiderte Anne. „Nicht in dem Aufzug.“ Trotzdem fing ihr Herz an, wild zu schlagen.
Einen Augenblick später klopfte es an der Tür, und die Wache führte Simon in den Raum.
„Seid Ihr nicht etwas zu zerzaust für den Besuch bei einer Dame?“, fragte Anne kalt und blickte ihn von oben herab an. Er roch eigentlich nicht nach Stall, aber es konnte nicht schaden, eine solche Andeutung fallen zu lassen. Seit ihrem Treffen an diesem Morgen hatte sie sehr genau darüber nachgedacht, wie sie seine Pläne durchkreuzen konnte, sowohl was Grafton selbst anging als auch seinen Wunsch, den Schatz des Königs zu finden. Sie war schließlich zu dem Schluss gekommen, dass es am besten sei, sich immer wieder daran zu erinnern, dass er sie gefangen hielt. Je weniger Zeit sie in seiner Gesellschaft verbrachte, desto besser. Sie würde einfach still bleiben und sich von ihm fernhalten, bis der Schatz des Königs in Sicherheit wäre. Das war von höchster Wichtigkeit. Erst danach würde sie sich darauf konzentrieren, ihr Erbe zurückzugewinnen.
Der frostige Empfang schien Simon nicht das Geringste auszumachen. Er lachte. „Ich bitte um Verzeihung, Madam. Ich bin nur gekommen, um Euch mitzuteilen, dass unsere Suche für heute beendet ist.“
„Ah.“ Annes Finger spielten mit der Stickerei, die sie auf dem Tisch hatte liegen lassen. Sie fühlte Edwinas neugierigen Blick auf sich ruhen und fühlte sich dadurch noch angespannter.
„Wir haben nichts gefunden“, fügte Simon hinzu.
Anne konnte ihre Freude kaum verhehlen. „Nein? Wie schade“, sagte sie mit falschem Mitleid. „Aber ich habe Euch gewarnt, Mylord, dass Eure Mühe vergeblich sein würde.“
„Das habt ihr“, pflichtete Simon ihr bei. „Und ich bedaure, dass Ihr in dieser Sache recht behalten habt.“ Er straffte die Schultern. „Aber wir haben noch nicht Euer Zimmer durchsucht.“ Sein Blick glitt über die Holztruhen und den geschnitzten Eichenschrank, der aus der Mitgift ihrer Mutter stammte. „Mit Eurer Erlaubnis, Mylady.“
Annes Freude schwand. „Ihr habt meine Erlaubnis nicht, Lord Greville. Das wäre eine Zumutung.“
Simon blieb ungerührt.„Dann eben ohne Eure Erlaubnis, Madam. Standish, Jackson … durchsucht das Zimmer.“ Er warf Anne einen weiteren Blick zu. „Aber vorsichtig.“
Muna trat zu ihrer Cousine und legte ihr tröstend eine Hand auf den Arm. Anne stand erstarrt vor Empörung da, während Simons Männer die Truhen und Schubladen entleerten, unter dem Bett suchten und in ihrem Wandschrank stöberten. Sie war sich Simons Gegenwart sehr bewusst, der diesmal nicht mithalf, sondern nur danebenstand und sie beobachtete. Sie wusste, dass er ihre Reaktion auf dieses Eindringen in ihre Privatsphäre abschätzen wollte und wartete, ob sie eingreifen würde. Er schien zu hoffen, dass sie die Contenance verlieren und dabei etwas verraten würde. Sie presste die Lippen aufeinander und blieb still, während der Schmuck ihrer Mutter respektlos auf das Bett gekippt und ihre Unterwäsche vor aller Augen ausgebreitet wurde. Sie wusste, dass sie nichts finden würden. Das tröstete sie ein wenig und gab ihr die Kraft, ruhig zu bleiben, während die Soldaten ihren Besitz durchwühlten. Für den Moment war Simon Greville geschlagen, aber sie war sicher, dass sie erst ganz am Anfang ihrer Auseinandersetzung standen.
Einer der Soldaten ließ einen aufgeregten Laut hören und riss eine Perlenkette aus der
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