Geliebte Gefangene
entging nichts, und er würde ihr keine Ruhe lassen, bis sie ihm alles erzählt hatte. Aber ihre Aufgabe war es, dafür zu sorgen, dass der König seinen Schatz erhalten würde, und die Leben der Unschuldigen zu retten, die in diese Geschichte verwickelt worden waren.
Die Stille wurde drückend. „Wollt Ihr es abstreiten?“, fragte Simon schließlich in ruhigem Ton.
„Ich kann Euch nicht helfen“, wiederholte Anne. Sie fühlte, wie sich ihre Finger um die Armlehnen des Stuhls klammerten, und sie zwang sich, sich zu entspannen. Er würde fragen, und sie würde abstreiten. Dieses Spiel würden sie so lange spielen, wie es eben nötig war. Allerdings befürchtete sie, dass er früher oder später gewinnen würde.
Simon stand auf. „Ich gebe Euch einige Tage Zeit, um darüber nachzudenken.“ Die Drohung, die in seinen Worten mitschwang, sandte ein Zittern durch Annes Körper. „Wenn Ihr Euch an irgendetwas erinnert, das mir nützlich sein könnte …“ Er ließ den Satz unbeendet im Raum stehen.
„Es ist höchst unwahrscheinlich, dass meine Erinnerung in den nächsten Tagen besser wird“, entgegnete Anne nach einer Weile.
„Dann ist es ebenfalls unwahrscheinlich, dass sich Eure Situation verändert“, stellte Simon fest und schüttelte den Kopf. „Kommt schon, Lady Anne. Denkt praktisch. Was kann es Euch nützen, sich mir entgegenzustellen? Ihr seid meine Gefangene. Es würde besser für Euch sein, mir Eure Geheimnisse zu verraten, als sich mir zu widersetzen.“
Anne ballte die Hände zu Fäusten. „Ich habe Euch nichts zu sagen.“
„Ich glaube schon“, entgegnete Simon. „Sollte Eure Erinnerung zurückkehren, Madam, werdet Ihr mich immer bereit finden, Euch zuzuhören.“ Er ging zur Tür. „Ich werde ein Auge auf Euch haben“, fügte er hinzu. „Denn ich habe das deutliche Gefühl, dass Ihr viel mehr wisst, als Ihr bisher gesagt habt. Wir wissen beide, dass König Charles Eurem Vater vertraut hat, und ich bin mir sicher, Euer Vater war klug genug, Euch und nicht Malvoisier in seine Geheimnisse einzuweihen.“ Er machte eine Pause. „Ich würde viel darum geben, diese Geheimnisse zu ergründen.“
Anne wandte ihr Gesicht ab, ohne zu antworten. Ihre Nerven waren bis zum Zerreißen gespannt.
„Es gibt hier in Grafton drei Dinge, die ich haben will“, sagte Simon. „Ich will das Gut, ich will den Schatz des Königs, und ich will Euch, Lady Anne. Und ich habe vor, alle drei zu bekommen.“ Leise schloss er die Tür hinter sich, und Anne hörte, wie sich der Schlüssel im Schloss drehte.
Am selben Nachmittag sahen Anne, Edwina und Muna zu, wie Simon Grevilles Männer Grafton auf der Suche nach dem Schatz des Königs auf den Kopf stellten. Ställe, Scheunen, Schuppen … nichts war vor ihnen sicher. Die Kirche wurde durchsucht, während der Pfarrer sie wegen des Frevels beschimpfte. In der Küche hatte die Köchin einen Wutanfall und überschüttete die Soldaten mit Mehl, als sie einiges an Geschirr zerbrachen. In den Ställen biss sie ein Pferd.
Die Männer waren gründlich. Und schon nach zehn Minuten auch sehr schmutzig.
Muna hielt sich die Hand vor den Mund und kicherte, als die Soldaten verschwitzt, verärgert und mit Heu gespickt aus den Ställen traten.
„Wenigstens teilt Lord Greville seinen Leuten keine Aufgaben zu, die er nicht auch selbst machen würde“, sagte Edwina, als Simon mit Guy Standish in den Hof trat. „Einige Befehlshaber würden sich nicht selbst die Hände schmutzig machen.“
Anne stellte fest, dass Simon mehr als verdreckt aussah. „Diese Uniform war heute morgen noch sauber“, sagte sie mit einem amüsierten Unterton. „Die Wäscherei wird viel zu tun haben.“
„Und wenn man bedenkt, dass Ihr ihm all das hättet ersparen können, Madam.“
Schnell warf Anne einen Blick zur Tür. Sie wusste, dass auf der anderen Seite ein Posten stand. Nicht nur hatte man sie eingeschlossen, sie wurde auch gut bewacht. Simon machte ihr auf diese Weise allzu deutlich, in welcher Lage sie sich befand.
„Still. Jemand könnte dich hören.“
Edwina stupste sie leicht in die Rippen. „Ihr müsst aber zustimmen, Madam“, flüsterte sie, „dass Lord Greville ein Bild von einem Mann ist.“
Anne verzichtete auf eine Antwort, auch wenn sie ihrer Zofe insgeheim recht geben musste. Das schwache Licht der Februarsonne warf kastanienbraune Reflexe auf Simons Haar. Er lachte über etwas, was Standish sagte, und zupfte sich das Stroh von der Uniform. Es versetzte ihr einen
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