Geliebte Gefangene
würde. Es war dann unausweichlich immer Simon gewesen, der die Strafpredigt erhalten hatte. „Also, was ist es, was du mir erzählen wolltest? Du hast gesagt, dass es dringend ist.“
„Ja.“ Henry hielt kurz inne. „Ich habe dich genau deshalb hergebeten. Die Bürde der Dankbarkeit …“ Er machte wieder eine Pause und setzte dann neu an. „Verdammt! Ich bin nervös wie ein Schuljunge“, sagte er reumütig. Plötzlich sah er auf und erwiderte Simons Blick offen und direkt. „Da ist etwas, das ich dir noch nicht erzählt habe. Aber ich glaube, ich muss es tun. Und es hat nichts mit Muna zu tun. Es geht um Lady Anne.“
Simon wartete gespannt.
„Es war nicht Muna, die mein Leben gerettet hat“, erklärte Henry schnell. „Jedenfalls nicht zuerst. Es war Lady Anne, die mich vor Malvoisiers Rache bewahrt hat.“
Nachdenklich runzelte Simon die Stirn. „Ich dachte, dass …“ Er hielt inne.
Henry schüttelte den Kopf. Sein Blick war beinahe flehentlich, und in seinen dunklen Augen flackerte eine fiebrige Hitze. „Ich weiß, was deine Aufgabe hier in Grafton ist, Simon“, fuhr er hastig fort. „Du kannst mir glauben, ich verstehe es besser als die meisten anderen. Du musst das Gut für unsere Sache sichern, und du musst den Schatz des Königs finden. Und genau das macht dich zu Lady Annes Feind. Aber …“ Er machte eine weitere Pause. „Du sollst eines wissen: Wenn sie nicht gewesen wäre, hätte Malvoisier mich getötet.“
Simon fühlte eine eiskalte Welle des Hasses in sich aufsteigen. „Erzähl mir alles“, sagte er mit ernstem Gesicht.
Erschöpft schloss Henry die Augen, dann öffnete er sie wieder. „Lady Anne hat mich vor dem Brandeisen bewahrt“, erklärte er.
Simon starrte ihn entsetzt an. Er fühlte Übelkeit und Ekel tief in seinem Leib. „Brandeisen? Malvoisier wollte dich brandmarken? Dich mit glühenden Eisen kennzeichnen? “
„Ja. Er wollte mir sein Wappen einbrennen. Er brüstete sich damit, dass er jedem den Parlamentarier zeigen würde, unterjocht wie ein Sklave.“
Simon ballte die Hände so fest zu Fäusten, dass seine Knöchel weiß hervortraten. „Erzähl mir, was dann geschah.“
Unruhig bewegte Henry sich auf dem Bett. Er sah erschöpft aus. Simon wurde wieder bewusst, dass er erst neunzehn Jahre alt war. Der unbeschwerte Junge, der vor achtzehn Monaten mit ihm aus Harington aufgebrochen war, hätte sich niemals ausmalen können, was der Krieg ihm antun würde. Im Gegensatz dazu fühlte Simon sich alt und verbraucht, durch die Schrecken der Kämpfe, die er erlebt hatte. Sein ganzes Leben lang hatte er Henry beschützt, aber diesmal war er nicht da gewesen.
„In der Nacht, in der ich gefangen genommen wurde, ließ Malvoisier mich aus dem Kerker in die Große Halle bringen“, begann Henry. Seine dunklen Augen blieben starr auf das Feuer gerichtet, das noch im Kamin glühte. Simon vermutete jedoch, dass es ein ganz anderes Feuer war, das er vor sich sah, eines, das ihn bis in die Seele verwundet hatte.
„Malvoisier war betrunken und begeistert, dass er dich dazu gebracht hatte, den Angriff zu verkünden. In der Großen Halle war es heiß wie in der Hölle, und es stank nach Alkohol und Rauch. Malvoisier führte mich vor seinen Männern und ihren Huren vor, und dann entschied er, dass er ein bisschen Spaß mit mir haben wollte.“ Henry schloss kurz die Augen und schluckte schwer. „Was folgte, war allerdings kein Vergnügen. Ich war an Händen und Füßen gefesselt und konnte der Peitsche nicht ausweichen. Ich wusste, dass er mich erniedrigen wollte.“ Seine Schultern bewegten sich unter seinem Hemd, als könnte er noch immer den schneidenden Biss der Peitsche auf seinem Fleisch spüren. „Dann nahm er ein Brandeisen aus dem Feuer.“
Unwillkürlich zuckte Simon zusammen. „Von allen ekelerregenden und brutalen Dingen ausgerechnet …“ Angewidert verstummte er.
„Sie waren alle außer sich vor Erregung und Alkohol und Lust“, fuhr Henry fort. „Malvoisier mehr als alle anderen. Er trat mich, als ich ihm zu Füßen auf dem Boden lag. Er brannte vor Rachedurst.“ Heftig schüttelte er den Kopf. „Ich wusste, dass ich vermutlich nicht überleben würde. Ich lag dort und sah ihn an. Es schien mir wie eine halbe Ewigkeit. Er hatte das Brandeisen in der Hand, und er lächelte. Dann beugte er sich vor, so nah, dass ich die Hitze schon an meiner Wange spüren konnte.“
Henry blickte auf, und Simon sah die Erinnerung wild in seinen Augen
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