Geliebte Gefangene
zwingen. Und früher oder später würde sie dem König seinen Schatz geben müssen.
Simon ließ das Haus und das Gut weiter nach dem Schatz durchsuchen, und sein gewissenhaftes Vorgehen jagte Anne Schauer der Angst über den Körper. Die Vorstellung, dass er eines Tages finden würde, wonach er suchte, verursachte ihr Albträume. Außerdem jagte er noch immer Malvoisier. Anne hatte an König Charles geschrieben und ihn um Hilfe gebeten, den abtrünnigen General seiner gerechten Strafe zuzuführen, aber bisher hatte sie keine Antwort erhalten. In der Zwischenzeit hatte Simon damit begonnen, Grafton wieder aufzubauen. Er arbeitete Seite an Seite mit den Dorfbewohnern, um ihnen alles, was sie verloren hatten, zu ersetzen. Anne fühlte sich zerrissen, denn Simon arbeitete mit all seiner Kraft für das Wohl ihrer Leute, und sie spürte, wie sie ihr jeden Tag ein wenig mehr entglitten. Und mit jedem Tag wurde auch ihre eigene Loyalität auf die Probe gestellt, wenn sie Lord Grevilles Gerechtigkeit und die Großzügigkeit, mit der er den Leuten half, sah. Sie sagte sich, dass es in seinem eigenen und im Interesse der Parlamentarier war, Grafton wieder stark zu machen, aber der Gegensatz zu Gerard Malvoisiers brutaler Herrschaft hätte nicht auffälliger sein können.
An einem sonnigen Februarmorgen, Anne hatte gerade einige Schlehenzweige und Winterjasmin für die Kirche geschnitten, saß sie für eine kleine Weile auf einer der Kirchbänke, um an ihren Vater zu denken und Trost zu finden. Sie vermisste den Earl an jedem einzelnen Tag, und der Schmerz des Verlustes war noch immer groß. Immer wieder ertappte sie sich auch da bei, wie sie an Simon dachte und sich zu ihm hingezogen fühlte, angezogen von seiner Stärke und seiner offensichtlichen Integrität. Die Geduld und Umsicht, mit der er sich bemühte, Grafton seinen alten Wohlstand wiederzubringen, nötigten ihr einen widerwilligen Respekt ab. Sie erinnerte sich an den Wunsch ihres Vaters, Simons Werbung anzunehmen, und nur ihr verzweifelter Wunsch, den Schatz zu schützen und den Royalisten die Treue zu halten, ließ sie standhaft bleiben.
Als sie nun in den Schatten der Kirche saß, versuchte sie, all dies für einen Moment zu vergessen. Sie zog ihren Mantel enger um sich und vergrub ihre Hände im Fell ihrer Handschuhe. In der Kirche war es kalt, und es roch ein wenig nach Staub und Weihrauch. Der Geruch war ihr so vertraut wie der des Lavendels in ihren Kleidertruhen oder der Biergeruch des Brauhauses. Er war eine der Konstanten in Grafton, beruhigend und tröstend wie die anderen Kindheitserinnerungen. Trotzdem fühlte sie sich einsam, auch wenn sie wusste, dass sie nicht allein war. Sie hatte Munas beständige Freundschaft, Edwinas lautstarke Unterstützung und Johns stille Loyalität. Auch ihre Leute schienen ihr immer noch zugetan, aber dennoch musste sie tun, was für sie richtig war. Der Schmerz, den der Verlust ihres Vaters hinterlassen hatte, ließ sich jedoch nicht so leicht lindern. Genau das machte ihr Angst, denn so war es nur noch verführerischer, Simons Antrag anzunehmen.
Anne lehnte sich zurück. Das harte Holz der Kirchenbank bohrte sich in ihre Schulterblätter. In dieser Kirche bestand keine Gefahr einzuschlafen. Die Sitzbänke waren so gebaut, dass sie in ihrer Ungemütlichkeit die Sünder immer an die Notwendigkeit der Buße erinnerten.
Unruhig richtete sie sich wieder auf. Sie wusste, dass ihr nicht viele Möglichkeiten blieben. Sie konnte Simon Greville heiraten, Grafton behalten und ihren rechtmäßigen Platz als Herrin des Guts einnehmen. Es wäre nicht nur eine Zweckehe, da es zwischen ihnen eine unbestreitbare Anziehung gab. Hier, in der kalten Leere der Kirche, konnte sie es sich eingestehen und die Wärme zulassen, die dieser Gedanke in ihr hervorrief. Simon würde ihr Verführung und Leidenschaft und Lust bieten. Er hatte die Stärke und den Mut, den sie bei ihrem Vater so bewundert hatte. Er würde ihr Leben erfüllen und sie schließlich ihren Schmerz vergessen lassen.
Und er würde sie ihren Treueschwur vergessen lassen.
Und eines Tages würde er in die Schlacht ziehen und nicht wiederkommen.
Ein Zittern lief durch Annes Körper. Der Gedanke an Simon, sterbend auf dem Schlachtfeld, war zu schrecklich. Sie wollte nicht einmal darüber nachdenken.
‚Würdet Ihr mich töten?‘
‚Was sollte mich abhalten? Ihr seid mein Feind …‘
Ihr Feind baute eben jetzt Grafton wieder auf und sorgte dafür, dass man dort sicher leben
Weitere Kostenlose Bücher