Geliebte Gefangene
sehen.
Schließlich musste sie akzeptieren, dass sie Elizabeth nicht finden würde. Sie hatte nach ihr gesucht und gerufen, bis ihre Stimme versagte und ihre Hände voller Brandwunden waren. Ihr Hochzeitskleid hing ihr in Fetzen vom Körper, und in ihrem Herzen herrschte Verzweiflung. Doch sie hatte keine andere Wahl. Sie musste nach Grafton zurückkehren und bei Tageslicht weitersuchen. Vielleicht wäre es ohnehin besser gewesen, bis zum Morgen zu warten. Sie hatte impulsiv gehandelt. Simon würde ganz sicher so denken. Wenn er noch am Leben war.
Sie würde ihm die Wahrheit über den Schatz des Königs sagen müssen. Der Gedanke brachte ihr ein wenig Erleichterung, aber er machte ihr auch Angst, denn sie wusste nicht, wie er auf die Ereignisse der Nacht reagieren würde.
Schließlich nahm sie einen Pfad, der auf einer etwas längeren Route vom Dorf zum Gut führte. Sie war müde, wusste aber dennoch, dass sie jetzt, da sie unaufmerksam war, noch vorsichtiger sein musste. Sie ritt Psyche im Schritt über das Gras, um ihre Huftritte zu dämpfen, und behielt ihre Pistole in der Hand.
Anne hatte beinahe das Wäldchen erreicht, das man von der Weide aus sehen konnte, und wollte gerade daran vorbeireiten und ihren Weg zur Burg fortsetzen, als Psyche scheute. Sie bemerkte die Geräusche einen Augenblick zu spät. Männer – und Pferde. Sie waren schon nah, und sie hatten Psyche mit Sicherheit gehört. Entschieden stieß sie der Stute ihre Fersen in die Seite. Mit einem Vorsprung hätte sie vielleicht eine Chance, die Männer abzuhängen.
Die Geräusche der Verfolger drangen an ihr Ohr. Psyche galoppierte, durch Annes eigene Kühnheit beflügelt, direkt den Hügel hinunter auf die Burg zu. Der Boden flog unter ihren Hufen dahin. Anne fühlte nichts außer dem kalten Wind auf ihrem Gesicht.
Plötzlich hörte sie einen Ruf hinter sich und warf einen schnellen Blick über die Schulter. Sie sah Simons schwarzen Hengst hinter sich hersprengen. Der Rest seiner Truppe war hinter ihm ausgeschwärmt und jagte den Hügel hinunter wie die Reiter der Apokalypse. Anne fühlte eine Mischung aus Furcht und Erleichterung.
Simon. Er lebte. Er war hier. Und er war ohne Zweifel unfassbar wütend.
Sie versuchte, Psyche zu zügeln, aber die Stute war zu aufgeregt. Sie konnte die Verfolger hinter sich spüren und jagte außer Kontrolle fort von Grafton auf das offene Hügelland zu. Der Trupp Pferde wandte sich gegen Grafton, nur Simon blieb weiter hinter ihr.
Der Wind riss Anne die Kapuze ihres Mantels vom Kopf, sodass ihr Haar ihr wild um die Schultern flog. Sie sprangen über eine Hecke und über eine zweite. Vor ihnen stieg das Land langsam an, und die Felder wurden zu dem saftigen Gras des Hügellands. Hinter dem Hügel lag die Straße nach Oxford.
Zwischen Anne und der Straße stand eine kleine Baumgruppe, und Psyche wurde allmählich müde, sodass Anne sie endlich zügeln konnte. Sie hatte die Stute gerade unter Kontrolle gebracht, als Simons großer schwarzer Hengst neben ihr zum Stehen kam. Das Mondlicht glänzte auf Simons Rüstung. Seine Augen blitzten, und er griff mit eiserner Hand nach Psyches Zü geln. Sein Atem kam schnell und hart.
„Simon.“ Annes Stimme zitterte. „Gott sei Dank geht es dir gut.“
Er ignorierte ihre Worte. Seine Augen hinter dem Visier sahen sie kalt und ohne Gnade an. „Ihr reitet gut. Ihr reitet sogar ganz hervorragend. Aber wenn Ihr noch einmal versucht, vor mir zu fliehen, Mylady, werde ich Euch den Hals brechen. Habe ich mich klar ausgedrückt?“
Anne riss die Zügel aus seinem Griff. „Ich bin nicht geflohen“, fuhr sie ihn an. „Du musst doch gesehen haben, dass ich Psyche nicht halten konnte …“ Sie brach ab, als Simon abstieg und sie aus dem Sattel hob. Er stellte sie auf die Füße, behielt aber ihre Schultern in festem Griff und schüttelte sie.
„Was macht Ihr hier?“, fragte er aufgebracht. „Wo wolltet Ihr hin? Zu wem wolltet Ihr fliehen?“ Sein Gesicht war eine steinerne Maske. Er schüttelte sie wieder. „Antwortet mir! Ist es Malvoisier?“
Fassungslos starrte Anne ihn an. Sie hatte sich in dieser Nacht immer wieder gefragt, wie sie Simon alles erklären sollte. Dass er denken könnte, sie würde zu Gerard Malvoisier wollen, war ihr dabei nie in den Sinn gekommen. „Natürlich nicht!“ Ihre Stimme war ein entsetztes Flüstern, dem die nötige Entschlossenheit fehlte, um glaubwürdig zu erscheinen. Sie räusperte sich. „Ich war mir nicht einmal sicher, dass
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