Geliebte Gefangene
Es wurde immer lauter, je mehr Ale getrunken wurde, und bald gab Anne jeden Versuch auf, sich mit Simon zu unterhalten.
Sie war sich der Anwesenheit ihres Ehemannes an ihrer Seite, auf dem Platz, den sonst ihr Vater eingenommen hatte, sehr bewusst. Und wenn sie sich auch bemühte, alle Gedanken an den Earl zu verdrängen, so gab es doch Augenblicke, in denen die Erinnerung an ihn ihr die Kehle zuschnürte, die Kerzen vor ihren Augen verschwammen und sie ein paar Tränen wegblinzeln musste. Sie wünschte, Fulwar wäre hier, doch er hatte Grafton am Tag nach ihrem Gespräch verlassen. Vielleicht würde es in der ungewissen Zukunft, von der er gesprochen hatte, eine Zeit geben, in der Simon und sein Vater wieder geeint zusammenstehen würden, und in der es vielleicht sogar einen Erben für Grafton und Harington geben würde …
Edwina fing ihren Blick auf und gestikulierte bedeutungsvoll zur Tür. Anne atmete hörbar ein. Die Dienerin hatte ihr sagen wollen, dass es Zeit war, sich zurückzuziehen. Sie warf Simon einen schnellen Blick zu. Sie waren Mann und Frau, und jetzt – bald – würden sie ein Liebespaar werden. Ihr lief ein Schauer über den Körper. Sie konnte Simon leicht, oh viel zu leicht, ihren Körper geben, aber sie wollte ihm auch ihre Seele anvertrauen, und das war unmöglich.
„Entschuldigt, Mylord.“ Captain Jackson war an den Tisch getreten und berührte Simon am Arm, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. Er warf einen entschuldigenden Blick in Annes Richtung, aber sie ließ sich davon nicht täuschen. Etwas stimmte hier nicht, sie konnte es fühlen und verschränkte in plötzlicher Unruhe die Hände unter dem Tisch.
Das Geschwätz in der Halle ging ungestört weiter, aber Anne hörte es nicht mehr. Sie beobachtete, wie Jackson eindringlich in Simons Ohr flüsterte, und bemerkte, dass sich Simons Hand fest um sein Weinglas schloss. Sie hörte das Kristall unter dem Druck zersplittern und sah, wie sich der Wein wie ein Blutfleck über den Tisch ausbreitete. In ihrem Herzen war eisige Kälte.
Nun wandte Simon sich zu ihr und sagte leise: „Das Dorf wird angegriffen. Es brennt. Das muss Malvoisier sein. Ich habe schon vermutet, dass er die günstige Stunde für eine Attacke nutzen würde und habe die Wachen verdoppelt, aber sie sind in großer Bedrängnis. Ich muss gehen.“ Er war schon halb von seinem Sitz aufgestanden, hielt dann aber inne. „Sieh zu, dass unsere Leute hier bleiben und sorge für ihre Sicherheit. Ich schicke dir Nachricht, so schnell ich kann.“
Anne griff nach seinem Arm. Plötzlich hatte sie große Angst.
„Du wirst doch vorsichtig sein?“, flüsterte sie und sah, dass er zögerte, als er die Besorgnis in ihrer Stimme hörte.
„Natürlich.“
„Ich habe Angst um dich.“ Schon einmal hatte sie ihm diese Worte gesagt, kurz bevor er in den Kampf ziehen musste. Sie hatte es damals ernst gemeint und tat dies auch jetzt. In diesem Moment war es egal, dass er auf Seiten der Parlamentarier und sie auf der Seite des Königs stand. All das, was gut und richtig zwischen ihnen war, verlangte plötzlich von ihr, dass sie ehrlich zu ihm war.
Sie sah, wie Simon in einer Aufwallung von Gefühlen seine Härte verlor. Sie war hilflos gegen die Liebe, die sich in ihr ausbreitete und jeden Augenblick stärker wurde. Er beugte sich zu ihr und küsste sie, süß und tief und zärtlich. Dann hob er die Hand, berührte ihre Wange und ging.
Anne fühlte einen tiefen Verlust. Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück, aber nur für einen Moment, denn die Menschen spürten jetzt, dass etwas nicht stimmte und sahen zu ihr. Die Musik wurde leiser und verstummte dann ganz. Der trunkene Frohsinn fand jäh ein Ende. Alle Gesichter wandten sich ihr zu.
Unsere Leute, hatte Simon gesagt, und sie fühlte einen glühenden Stolz und stand auf.
„Gute Einwohner von Grafton, wir werden angegriffen.“ Sie versuchte, die Welle der Panik, die durch den Saal lief, mit ruhiger Stimme zu bezwingen. „Alle kampftauglichen Männer in die Waffenkammer. Alle anderen bleiben hier bei mir und werden helfen, die Verwundeten zu versorgen. Habt keine Angst.“ Sie hob die Stimme. „Mein Gatte hat geschworen, Grafton mit seinem Leben zu verteidigen.“
Einige stießen wilde Rufe aus, und dann brach Chaos aus, als die Männer und Jungen losliefen, um ihren Anweisungen Folge zu leisten, schon jetzt brennend vor Kampflust. Kalte Nachtluft strömte in die Halle und füllte den Raum, in dem wenige Augenblicke zuvor
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