Geliebte Gefangene
war sie verschwunden …“ Der Rest ihrer Worte verlor sich in wildem Schluchzen.
Annes Gedanken rasten. „Ich muss nach draußen. Wenn sie allein durch die Gegend streift …“
Edwina stockte der Atem. „Madam, das könnt Ihr nicht tun!“
Anne biss die Zähne aufeinander. „Die Prinzessin wurde mir anvertraut! Ich kann nicht zulassen, dass sie allein durch die Dunkelheit irrt, schon gar nicht bei all den herrenlosen Soldaten. Ich muss ihr nach.“
Edwina ergriff ihren Arm. „Nein!“ Ihre Stimme war ein Schrei der Verzweiflung. „Die Gefahr … Und Lord Greville wird es herausfinden! Er wird sehr wütend sein. Ihr könnt das nicht tun!“
Anne schüttelte sie ab. „All das ist unwichtig“, entgegnete sie heftig. „Das Einzige, was zählt, ist das Leben der Prinzessin.“
Sie wandte sich zu den dunklen Boxen hinter ihr. Die Truppen waren ausgeritten, aber ein Pferd war noch da, Annes eigene Stute Psyche, die sie aus dunklen, intelligenten Augen ansah. Anne strich mit einer Hand über ihren Hals und fühlte, wie ihr die Wärme und Vertrautheit Trost spendeten. „Hilf mir, sie zu satteln“, befahl sie Edwina. „Schnell!“ Dann schaute sie das Kindermädchen an. „Meg, bring mir die Pistole, die du in deiner Kammer verwahrst. Und das Messer.“
Annes Hände zitterten, als sie die Schnallen an Psyches Sattel schloss. Neben ihr arbeitete Edwina in stiller Verzweiflung. Wenig später brachte Meg ihr die Pistole, und Anne schob sie in die Satteltasche und steckte dann das Messer in ihr Strumpfband, da sie in ihrem Hochzeitskleid keine Waffe verstecken konnte.
Als sie fertig waren, ritt Anne zum Haupttor. Es war keine Zeit für List oder Täuschung, und bevor sie die Zugbrücke erreichte, rief sie nach Jackson, und er und die Soldaten kamen aus dem Wachhaus gelaufen. „Öffnet das Tor!“, befahl sie ihnen.
Entgeistert starrte Jackson sie an. „Madam, das geht nicht! Ich kann Euch nicht erlauben, die Burg zu verlassen!“
Wütend funkelte Anne ihn an. „Captain Jackson, es geht hier um Leben oder Tod.“ Sie zog ihre Pistole. „Öffnet das Tor, oder ich werde Euch dort, wo Ihr steht, niederschießen.“ Sie hob die Pistole und zielte. „Öffnet das Tor. Auf der Stelle.“
Das Gesicht des jungen Soldaten war eine versteinerte Maske der Angst. „Öffnet das Tor“, flüsterte er ergeben.
Anne wartete nicht einmal, bis die Zugbrücke den Boden erreicht hatte. Sie war durch das Tor und schon auf der anderen Seite, als sie sie auf den Boden schlagen hörte, kurz darauf klirrten und rasselten die Ketten, als die Männer sie mühsam wieder hochzogen. Sie wollte gar nicht darüber nachdenken, wie sie all dies Simon erklären sollte, oder was er sagen würde, falls sie ihn je wiedersehen würde.
Der Geruch von Feuer hing in der Luft, ein Geruch, den sie nur allzu gut kannte und der ihr Übelkeit verursachte. Vor ihr stand das Dorf in Flammen. Psyche scheute und tänzelte we gen des Lärms und des Gestanks, und Anne tätschelte ihr den Hals, um sie zu beruhigen. Sie konnte keine Geräusche eines bewaffneten Kampfes hören und fragte sich, ob Simons Männer die Angreifer zurückgeschlagen hatten. Sie konnten jetzt überall sein, unmittelbar in der Nähe oder schon etliche Meilen entfernt. Und sie war allein in der Dunkelheit, mit nichts anderem als dem Schein des Feuers und dem Mondlicht als Führer und der Gefahr, die überall lauerte. Aber sie musste ein Kind finden. Entschieden machte sie sich auf den Weg die Straße hinunter.
Eine Stunde später ritt Anne von der anderen Seite wieder in das Dorf und stellte fest, dass es leer war. Malvoisiers abtrünnige Soldaten hatten es angezündet und waren dann verschwunden. Auch Simons Männer waren nicht mehr da. Einerseits war sie erleichtert darüber, denn es bedeutete, dass sie den Ort ungestört durchsuchen konnte. Andererseits machte es ihr auch Angst, denn so wusste sie nicht, wo sich der Feind befand und könnte jeden Augenblick entdeckt werden.
So gut sie konnte, durchsuchte sie die Gebäude. Viele der Feuer waren schon beinahe niedergebrannt, und einige der Gebäude waren sogar gänzlich unberührt. Doch das Kind konnte Anne nirgends finden. Sie rief so lange nach ihm, bis der Rauch sie heiser machte, aber die Nacht blieb still. Und um sie herum lag Grafton erneut am Boden, die Hoffnung ihrer Leute wieder in den Staub getreten, ihre Lebensgrundlage zerstört. Hass stieg in ihr auf. Das war Malvoisiers Tun, und sie wollte ihn dafür tot
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