Geliebte Kurtisane
ihn, sie berührte eine Wand. Heute Nacht würde er die sich schlängelnde Spur ihrer Finger auf seiner Haut spüren, würde ein Teil von ihm wünschen, er hätte sich genommen, was ihm geboten wurde.
Nun indes wurde er zu Stein. „Was wissen Sie schon von meinen Interessen? Nein, das ist nicht, was ich will.“
„Wenn Sie nicht wollen“, erwiderte sie geschmeidig, „warum halten Sie mich dann noch immer?“
„Um hier eines klarzustellen“, meinte er trocken und drückte ihren Daumen ein wenig zurück. Ganz leicht nur, um ihr zu zeigen, was er könnte, wenn er wollte. „Ich halte Sie nicht, ich halte Sie auf Abstand. Das ist etwas völlig anderes. Und Sie sollten nicht von sich auf andere schließen, Mrs Farleigh. Ich fühle mich ausgesprochen wohl in meiner Haut und habe nicht das Bedürfnis, unter anderer Leute Haut zu dringen.“
Er ließ ihre Hand los und wich zurück zur Tür. Mit hängenden Armen stand sie da und starrte ihn an, sprachlos, wie es schien.
„Meine Reputation kümmert mich nicht“, sagte er. „Mir geht es um die Keuschheit an sich. Zudem dürfte ich kaum je versucht sein, mich von einer Frau verführen zu lassen, die meine bloße Berührung zusammenzucken lässt. Sehen Sie zu, dass Sie Ihre Kleider trocken bekommen.“ Sein Ton war schroff. „Das könnte eine Weile dauern. Wenn Sie sich zwischenzeitlich langweilen, haben Sie da was zu lesen.“ Er zeigte auf die Bücherregale an der Wand.
Sie machte einen Schritt auf ihn zu.
Es gab nur eine Möglichkeit, dem ein Ende zu setzen. Mark schlug ihr die Tür vor der Nase zu. Ehe sie sich schloss, fing er ihren Blick auf – nicht wütend, nicht verlangend, sondern starr vor Angst.
4. KAPITEL
E r knallte Jessica die Tür vor der Nase zu. Und dann, sie glaubte es kaum, hörte sie, wie der Schlüssel im Schloss umgedreht wurde.
Ein unerbittlicher Laut, der ihre Niederlage besiegelte. Sie war nass bis auf die Knochen. Und sie war gescheitert.
Mit zitternden Händen schnürte sie ihr Korsett auf. Nicht die Kälte ließ sie beben, die spürte sie nicht, wie sie schon seit Monaten nichts mehr spürte. Sie hatte sich verkalkuliert, und das gleich in zweierlei Hinsicht. Und nun fürchtete sie, ihre Chance verspielt zu haben.
Ihre finanziellen Reserven waren auf einen zweistelligen Betrag zusammengeschrumpft. Sie könnte einen Teil ihrer Garderobe verkaufen – doch in ihrem Gewerbe wäre das so schlau, wie die eigene Saat zu essen. Man durfte ihr ihre düstere Lage nicht ansehen, wollte sie einen Gönner finden. Männer, die sich zu verzweifelten Frauen hingezogen fühlen, sind schlimmer als jede Verzweiflung.
Gewiss glaubte Sir Mark, dass bloßes Verlangen sie trieb – oder weibliche Neugier. Er konnte um den Ernst ihrer Lage nicht wissen, konnte nicht ahnen, wie dringend sie seiner Niederlage bedurfte. Diese Dringlichkeit hatte sie die Situation falsch einschätzen lassen.
Sie hatte geglaubt, leichtes Spiel mit ihm zu haben, dass er schwach würde, wenn er sich vor Entdeckung sicher wähnte. Schlimmer noch. Trotz allem, was ihr geschehen war, hatte sie geglaubt, wieder eines Mannes Berührung ertragen zu können.
In beidem hatte sie sich schrecklich getäuscht.
Sie hatte Monate gebraucht, um von ihrer Krankheit zu genesen. Zu Beginn hatte der Arzt sie zwingen müssen, ihre Medizin zu nehmen, ein paar Löffel Haferbrei hinunterzuzwingen. Später dann hatte ihre liebe Freundin Amalie täglich nach ihr gesehen und auf ihr Wohlergehen gedrängt. Bis heute musste sie sich daran erinnern, etwas zu essen.
All das hatte Jessica erst auf diese Idee gebracht.
Sie wusste, was mit Kurtisanen geschah, die nicht auf sich achteten. Zu oft hatte sie es während ihrer Jahre in London mit angesehen. Gab eine Frau sich auf, war sie bei der Wahl ihres Gönners achtlos. Ein einziger Fehlgriff – ein Mann, der etwas zu viel Gefallen daran fand, seine Mätresse zu schlagen, einer, bei dem sie sich Krankheiten des Freudenhauses holte –, mehr brauchte es nicht. Bald schon spräche die Leere ihres Herzens aus ihren Augen.
Sie kannte Frauen, die bald darauf dem Gin oder dem Opium verfallen waren. Von da an ging es nur bergab.
Im ersten Jahr ihres neuen Lebens, als sie noch jung und naiv gewesen war, hatte Jessica sich gesagt, dass es gar nicht so schlimm wäre, eine Kurtisane zu sein.
Es war nicht unbedingt das, wovon sie geträumt hatte, doch wollte sie das Beste daraus machen. Zudem stellte sie fest, dass sie sich als Jess Farleigh Freiheiten
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