Geliebte Kurtisane
lachen, einfach so. „Diese Seite an Ihnen mag ich schon lieber. Immerhin hasse ich Sie nicht, Mrs Farleigh. Ich hege nicht einmal Groll gegen Sie, so unehrenhaft Ihre Absichten heute Nachmittag auch gewesen sein mögen. Vermutlich ist Ihre Lage keine einfache.“ Kurz senkte er den Blick, dann sah er wieder auf. „Ich bin gewillt, klugen Frauen, die den heiligen Schein durchschauen, einiges zu verzeihen.“
Sie war sich nicht sicher, was genau er ihr damit sagen wollte, aber er lächelte sie an. Immerhin. Er hatte sie nicht hinausgeworfen oder ihr gesagt, sie solle ihm nie wieder unter die Augen treten. Sie hatte noch eine Chance, vielleicht ihre letzte. Leicht würde es nicht werden. Nahezu unmöglich. Und sie würde sehr vorsichtig und bedacht vorgehen müssen.
„Auch mir fällt es immer schwerer, Sie zu hassen, nun, da ich merke, dass Sie mehr sind als eine Sammlung moralischer Sinnsprüche.“
„Dann seien Sie vorsichtig“, warnte er, doch seine Augen funkelten. „Am Ende überzeuge ich Sie noch davon, mich zu mögen.“
„Oh nein, darauf wollen wir es nicht ankommen lassen.“ Sie schlug einen koketten Ton an. „Sollte ich Sie wirklich mögen, könnte ich versucht sein, Sie doch noch zu verführen – nicht, um der Welt etwas zu beweisen, sondern einfach aus Spaß an der Freude.“
Kaum hatte sie es gesagt, merkte sie, wie viel Wahrheit darin steckte. Nicht dass sie ihn begehrt hätte, weit gefehlt – sie hatte schon seit Jahren kein echtes Verlangen mehr verspürt.
Nein, die Wahrheit hätte trauriger nicht sein können. Trotz aller Bekundungen des Gegenteils schien er ein netter Mann zu sein. Sie hatte noch nie einen netten Mann im Bett gehabt.
Doch das konnte er nicht wissen. Sie hörte ihn tief Luft holen, sah seine Pupillen sich weiten. Nicht dass er seinen Blick begehrlich über sie hätte schweifen lassen, wie die blasierten Lebemänner ihrer Bekanntschaft es ganz unverhohlen zu tun pflegten, aber er sah auch keineswegs beiseite wie ein unbedarfter Jüngling, der nicht wagte, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen.
Stattdessen suchte er ihren Blick, der seine fest und wohl auch ein wenig durchtrieben. Sie musste schlucken. Sir Mark war so gar nicht, wie sie sich eine Jungfrau vorgestellt hätte. Viel zu männlich. Zu selbstgewiss. Ohne den Blick von ihr zu nehmen, machte er die Tür auf. Vielleicht ein Zeichen, dass sie an einen Punkt gelangt waren, wo sie ihr Gespräch beenden sollten.
„Mrs Farleigh“, sagte er, „Sie sind ausgesprochen interessant. Ich weiß Ihre Ehrlichkeit als Kompliment zu schätzen.“ Er trat beiseite, kühle Abendluft schlug ihr entgegen. Es hatte aufgeklart, und die Sonne zeigte sich tief am Horizont. Jessica musste blinzeln.
„Und deshalb will auch ich ehrlich sein.“ Er lächelte knapp. „Sie können noch so sehr versuchen, mich zu verführen. Sie werden keinen Erfolg haben.“
Doch, würde sie. Sie musste Erfolg haben. Nun aber begnügte sie sich mit einem Lächeln. „Das haben Sie mir sehr deutlich zu verstehen gegeben.“ Sie trat zur Tür hinaus.
Er hielt sie zurück, kaum merklich. Seine Finger streiften ganz leicht nur ihre behandschuhte Hand, und sie blieb stehen.
Nun streiften seine Finger ihren Arm, knapp über dem Handschuh; gewiss keine Absicht, keine Liebkosung. Nicht bei ihm. Trotzdem meinte sie, ein kurzes Zögern wahrzunehmen. Als er sich ihr zuwandte, fiel das Licht der Abendsonne auf sein Antlitz. Er war ihr so nah, dass sie das von einem feinen braunen Ring umkränzte Blau seiner Augen sehen konnte. So nah, dass er sie hätte küssen können.
Er tat es nicht.
„Im Dienste der Wahrheit möchte ich noch eines anfügen.“ Mit jedem Wort streifte sein Atem warm ihr Gesicht. „Sollten Sie mich hinreichend mögen, um mich zu verführen, würde ich es auf einen Versuch ankommen lassen.“
Und dann, als hätte er ihr nicht eben Ungeheuerliches zugeflüstert, verneigte er sich und schloss die Tür.
5. KAPITEL
S ie hätten doch nicht selbst zu kommen brauchen, Sir Mark.“ Mrs Tatlock hatte sich hinter dem Postschalter aufgebaut und schnalzte tadelnd mit der Zunge.
Eigentlich war sie nur die Frau des Briefträgers, sie hatte keine Pflichten und erhielt keinen Lohn. Aber da ihr Ehemann es bisweilen versäumte, Briefe an die weiter außerhalb gelegenen Häuser zuzustellen, insbesondere wenn das Wetter schön war und er lieber angeln ging, hatte sie ein System erdacht, die Briefe so lange im Postamt aufzubewahren, bis ihr Mann sich dazu
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