Geliebte Kurtisane
Ende seines Vortrags angelangt und bedeutete Mr Tolliver senior, dass der Spaß von ihm aus beginnen könne. Der Gastgeber forderte also alle auf, sich an ihre Plätze zu begeben. Gerade als Mark schweren Herzens von Mrs Farleigh gehen und sich zum jungen Tolliver begeben wollte, hob sie zu einer Erwiderung an.
„Ich könnte gewinnen“, sagte sie nachdenklich. „Aber ich habe eine bessere Idee.“
Er wusste nicht, was besser wäre, als zu gewinnen, fand aber keine Gelegenheit, sie zu fragen. Denn schon kam der junge Tolliver angesprungen und zog ihn mit sich. Der Bursche war eindeutig ein besserer Schütze als Mark. Dazu gehörte wahrlich nicht viel, und doch lief Tolliver jedes Mal rot an, wenn er seinen Helden übertrumpfte. Mark war es gleichgültig. Irritiert tat er die überschwänglichen Entschuldigungen des Jungen ab.
Während der ersten Runde hatte er kaum Gelegenheit, mit Mrs Farleigh zu sprechen. Arm in Arm mit Dinah Lewis schlenderte sie über den Parcours. Die beiden gingen als Letzte und unterhielten sich leise. Hätte sie überragend geschossen, würde er wohl Glückwünsche gehört haben.
Und so ahnte Mark wenig von dem, was sie vorhatte, bis die erste Runde vorüber war und er sich mit ihrem Können – oder dessen Mangel – konfrontiert sah. Nach jedem Schuss hatten Bedienstete frisches Papier auf die Zielscheiben gelegt, um die Ergebnisse festzuhalten und eventuellen Streitigkeiten vorzubeugen. Das erste Ziel hatte Mark fast verfehlt. Seine Kugel war oben links gelandet, im äußersten Ring. Auch Mrs Farleigh hatte nur knapp getroffen, allerdings rechts oben. Hätte man einen Spiegel an die Mittelachse gehalten, würde ihr Schuss den seinen genau gespiegelt haben. Und so ging das jedes Mal. Haargenau.
Sonst schien es niemandem aufzufallen. Warum auch? Wer zielte schon absichtlich daneben?
Ihrem Geschick im Danebenschießen war es zu verdanken, dass sie sich in der zweiten Runde zusammenfanden – und da er so eine schlechte Vorlage geliefert hatte, waren sie die Letzten.
„Wo haben Sie so gut schießen gelernt?“, fragte er, während sie warteten, dass die erste Station frei würde. Sie stand etwas abseits und sah den Männern zu, wie sie Ziel nahmen. Trotz der sportiven Anstrengungen der letzten Stunde hatte sich nicht eine einzige Strähne aus ihrer kompliziert geflochtenen Frisur gelöst.
„Aber Sir Mark, ich schieße völlig unspektakulär. Das wird Ihnen gewiss aufgefallen sein.“ Mit flatternden Lidern sah sie ihn an. Welch kokette Geste! Obgleich er wusste, dass sie ihn nur necken wollte, war er gegen sein plötzlich aufbrandendes Verlangen machtlos. Er wollte, dass ihr seinetwegen die Lider flatterten. Er wollte, dass es nicht Koketterie, sondern echt wäre. Wenigstens so viel Macht wünschte er sich über sie – dass er sie verunsichern, sie betören könnte. Wenigstens ein bisschen.
„Ihr Ziel war unfehlbar“, stellte er fest. „Sie haben genau getroffen, was Sie wollten. Und würden Sie jetzt bitte meine Frage beantworten – oder ist das ein weiterer Versuch, die Geheimnisvolle zu spielen?“
Sie seufzte. „Ich war recht oft auf Landpartien. Und irgendwie muss man sich ja die Zeit vertreiben, wenn die Männer auf die Jagd gehen.“
„Ihr Mann hat Sie mit auf die Jagd genommen?“
Sie zuckte gleichmütig die Schultern. „Er hatte gern weibliche Gesellschaft. Und ich entdeckte recht bald, dass ich … eine gewisse Begabung hatte. Schießen machte mir Spaß. Daraufhin war ich bestrebt, mein Können zu perfektionieren. Sozusagen aus Selbstschutz.“
„Aus Selbstschutz? Was Sie nicht sagen.“ Er hob fragend die Brauen. „Wurde Ihr Leben von Rebhühnern bedroht? Von Tontauben gar?“
Diesmal lächelte sie nicht mal. „Kein Mann lässt sich gern von einer Frau übertrumpfen. Ich musste lernen, genau zu schießen. Jeder Schuss musste sitzen, immer, überall. Denn sonst … Nun ja.“ Sie presste die Lippen zusammen und mied seinen Blick. Es war das erste Mal, dass sie ihren verstorbenen Gemahl erwähnte. Mark schien es, als habe sie den Burschen nicht sonderlich gemocht.
Das mochte erklären, warum sie bislang wenig über ihn gesprochen hatte.
Mrs Farleigh war schön. Nein, nicht einfach nur schön – schöne Frauen gab es viele. Sie zog alle Blicke auf sich, die der Männer und die der Frauen gleichermaßen, und es hatte nicht allein mit ihrer Schönheit zu tun. Nicht nur Frauen waren auf sie neidisch. Wie leicht konnte sie einen Ehemann in den Schatten
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