Geliebte Kurtisane
Schlagartig wich ihm alles Blut aus dem Kopf. Nichts anderes konnte er sich mehr vorstellen, als die Berührung ihrer weichen Lippen auf den seinen, seine Hände auf ihr, ihr Körper an ihn geschmiegt.
Nicht sein Denken trieb ihn an, als er sich von ihr abwendete und zu der kleinen Flagge marschierte, die den Punkt markierte, von dem zu schießen war. Kein Gedanke war in seinem Kopf, als er anlegte und zielte. Er drückte einfach ab. Schießpulver und Schwefelschwaden umfingen ihn, sein Arm schmerzte von der Wucht des Rückstoßes.
Einen Moment standen sie schweigend da, warteten, bis der beißende Rauch verflogen war, dann gingen sie gemeinsam nach vorn.
Irgendwie war es ihm gelungen, ins Schwarze zu treffen. Haarscharf, zugegeben, aber definitiv sein bester Schuss des Tages. Vielleicht ein Glückstreffer.
Vielleicht aber auch nicht. Mark schluckte und sah Mrs Farleigh an. Der Erfolg war zum Greifen nach. Süßer, nach Schießpulver schmeckender Erfolg.
Schweigend wandte sie sich um und ging zurück zur Flagge. Er folgte ihr. Erst jetzt, ausgerechnet mit Blick auf ihre mit jedem Schritt schwingenden Hüften, kam er langsam wieder zur Vernunft.
Sie könnte ihn lässig übertrumpfen, dreimal in Folge hatte sie es bereits getan.
Aber wollte sie es?
Wollte er es? Nein. Und ja. Nein, eigentlich nicht. Er wollte nicht, dass es so geschah. Dass sie ihn küsste, weil sie eine Wette und er seine Beherrschung verloren hatte. Schon gar nicht wollte er von ihr geküsst werden, nachdem sie ihn aus Mitleid hatte gewinnen lassen. Er wollte nicht, dass sie sich seinetwegen zurücknahm, sich kleinmachte.
Sie wartete, bis er sicher hinter ihr stand, hob dann in einer einzigen geschmeidigen Bewegung die Flinte und schoss. Ohne ihn anzusehen, ging sie wieder nach vorn. Am Ergebnis sollte es keinen Zweifel geben.
Er wollte nicht, dass sie mit Absicht danebenschoss, nicht seinetwegen und auch aus keinem anderen Grund.
Vor der Zielscheibe blieb sie stehen. Er ging ihr nach, und siehe da – sie hatte voll ins Schwarze getroffen. Natürlich.
Sie hatte gewonnen.
Erleichterung überkam ihn, gepaart mit leisem Bedauern. Er hatte gewünscht, dass sie gewann, aber …
„Wissen Sie was?“, sagte er mit rauer Stimme. „Das war keine gute Wette. Wir hatten gar nicht geklärt, was Sie im Falle eines Sieges erhalten.“
Sie sah ihn an, senkte ihren Blick auf seinen Mund.
Plötzlich kümmerte es ihn nicht mehr, wer was wann hätte bekommen sollen. Mit ungeahnter Heftigkeit verlangte er nach seinem Lohn. Er sollte es nicht wollen, sollte nicht einmal daran denken. Hätte er auch einen Mitgliedsausweis der BMK gehabt, wäre nun der rechte Zeitpunkt, ihn zu zücken. Denn Gefahr drohte, griff mit lockenden Fingern nach ihm. Unschlüssig hob sie die Hand und ließ sie wieder sinken, als wisse auch sie nicht, was tun.
Kopfschüttelnd wandte sie sich ab, holte zitternd Luft. Und dann bedachte sie ihn mit einem Lächeln, kein grausam süffisantes Lächeln, sondern ein verständnisvolles. Fast so, als wisse sie, wie sehr ihr Ansporn ihn erregt hatte. Als ergehe es ihr kaum anders.
„Was ich bei einem Sieg erhalte?“, fragte sie deutlich, sodass ihre Stimme laut auf der Lichtung widerhallte. „Das ist doch offensichtlich. Ich weiß jetzt, dass Sie mich küssen wollten.“
Und wieder sah er sich zur Weißglut getrieben – aber diesmal beherrschte er sich nicht.
„Darauf können Sie wetten.“ Und ehe sie ihm wieder entwischen, ehe sie ihre Worte zurücknehmen konnte, war er bei ihr und fasste sie um die Taille. Sie hob den Kopf und sah ihn an. Ungestüm fanden seine Lippen die ihren. Etwas töricht war das schon.
11. KAPITEL
J essica war kaum bewusst, was sie tat.
Zu Beginn hatte sie sich nur revanchieren und Sir Mark ebenso anstacheln wollen wie er sie. Das können Sie besser. Bis er sie angesehen hatte, mit diesem grimmig entschlossenen Zug um den Mund, hatte sie nicht geahnt, worauf es hinauslaufen würde. Nicht wirklich.
Es wäre nicht das erste Mal, das sie eines Mannes Leidenschaft entflammt hatte. Aber es war nicht ihre Absicht gewesen. Der Gedanke, ihn zu verführen, war in dem Augenblick in den Hintergrund gerückt, da er sie aufgefordert hatte, ihn zu besiegen. Von da an hatte sie einzig an sich gedacht – ihre Wünsche, ihre Bedürfnisse.
Als sich seine Lippen auf die ihren senkten, empfand sie weder Genugtuung noch Triumph. Nein, sie empfand eine reine Freude, die so gar nichts mit ihrem Verführungsmanöver zu tun
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