Geliebte Myriam, geliebte Lydia
irgendwas hielt mich zurück. Naja, und direkt unter uns, quasi als Kontrapunkt zu der Düsternis vor uns, brannte direkt am Ufer ein lustiges Lagerfeuer, rundherum hockten eine Anzahl galabejagewandeter Gestalten und palaverten eifrig, und im Wasser lagen, wie aufgefädelt entlang dem Ufer, eine lange Reihe von hochmastigen Segelbooten mit aufgewickelten Segeln.
Wie gesagt, ein zauberhaftes Bild, und ich stand einen Augenblick lang sprachlos und fühlte mich richtiggehend verzaubert. Und dann merkte ich, daß sich die Lydia genauso verzaubert fühlte, und da drückte ich sie an mich, und sie drückte sich ihrerseits an mich, und so standen wir eng umschlungen und genossen den Augenblick. Und dann warf meine liebe Lydia einen scheuen Seitenblick auf Myriam, die etwas abseits schräg vor ihr stand und so tat, als ob sie uns nicht sehen würde; aber wenn man genauer schaute, war's nicht allzu schwer zu erraten, daß sie in Wirklichkeit nur so tat. Und dann streckte Lydia ihre freie rechte Hand aus, erwischte Myriam am Ellbogen und zog sie an sich heran, und dann legte sie ihr einfach den Arm um die Schulter, so daß sie jetzt in unsere Verzauberung sozusagen einbezogen war.
Das Ganze dauerte aber in Wirklichkeit viel kürzer als die Beschreibung davon, und es wurde währenddessen auch kein einziges Wort gesprochen. Erst als wir uns dann wieder voneinander lösten, da brach Lydia den Bann, indem sie flüsterte: 'Ist das nicht schön?' Und als Antwort flüsterte Myriam: 'Ja, wunderbar! Und ... danke, Lydia!' Aber darauf lächelte meine Lydia nur hold, und ich dachte mir im stillen: 'Ha, was für eine tolle Frau!'
Unser Führer, das schwarzgelockte Bürschchen, hatte inzwischen geduldig gewartet, bis wir mit unserer Zeremonie fertig seien. Nun, wo er sah, daß es soweit war, nickte er uns auffordernd zu und begann die Stufen der erwähnten Treppe hinunterzusteigen, und wir folgten ihm gehorsam.
Unten angekommen, fing er mit den rund ums Lagerfeuer versammelten Gestalten zu palavern an, und schließlich erhob sich einer von ihnen, deutete uns, wir mögen ihm folgen, und ging uns auf dem Uferweg voran, bis er vor einem Boot stehenblieb, bloßfüßig, wie er war, ins seichte Wasser hineinstieg und aus dem Innern des Bootes ein langes, schmales Brett hervorholte, das er wie eine Brücke über den Bootsrand und die Steine der Uferböschung legte. Dann deutete er uns, wir mögen über dieses Brett ins Boot einsteigen, und zugleich streckte er einen Arm aus und half uns, einem nach dem anderen, einzusteigen. Und sobald wir uns auf der Bank niedergelassen hatten, kletterte er selber ins Boot, zog vorsichtig das Brett ein und hißte in relativ mühsamer Arbeit das Segel. Schließlich löste er noch die Vertäuung, und damit ging's nun endgültig los.
Mit einer langen Stange stieß er das Boot vom Ufer ab - genau wie Charon! schoß es mir durch den Kopf -; hierauf machte er sich am Segel zu schaffen und drehte es so, daß der Wind es blähte und in die gewünschte Richtung trieb. Und wir saßen währenddessen atemlos auf der Bank und hielten uns bei der Hand, das heißt, zuerst hielten nur Lydia und ich uns bei der Hand, aber dann faßte Lydia die neben ihr sitzende Myriam ebenfalls bei der Hand, und so hielten wir uns also zu dritt bei der Hand und beobachteten atemlos die Arbeit des Bootsmannes, und wie sich das Boot vom Ufer löste und geräuschlos auf die unheimliche, schwarze Fläche des Flusses hinausglitt und wie das Wasser rauschte und wie das Feuer mit den schwatzenden Gestalten mehr und mehr zurückblieb und wie der Tempel zurückblieb und die hundertfältigen Geräusche einer Ramadannacht immer leiser wurden und wie die Sterne um die Wette funkelten, daß es eine Freude war, ihnen dabei zuzuschauen, und wie der Mond - er war jetzt nicht mehr ganz voll - so hell herunterschien, daß er in der ruhigen, glatten Wasserfläche wunderbar glitzerte und es unserem Bootsmann leicht machte, den richtigen Weg zu finden.
Und während dieser ganzen Zeit sprachen wir kaum ein Wort, und auch der Bootsmann und unser Begleiter waren sehr schweigsam. Aber nach einiger Zeit begann der Bootsmann zu singen, und er sang einen melancholischen orientalischen Gesang, und wir lauschten hingerissen, und ich dachte im stillen: Wie schön ist doch die Welt! und fühlte mich in diesem Augenblick wieder einmal vollkommen glücklich - was sag' ich: vom Glück direkt überwältigt -, und sicher haben Lydia und Myriam nicht anders empfunden.
Der
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