Geliebte Myriam, geliebte Lydia
war die unserer Myriam. Jetzt schaute ich zum ersten Mal seit meiner Ankunft in der Unterwelt zurück in die Oberwelt und sah ein Lichtlein leuchten; dieses Lichtlein gehörte einer dunklen Gestalt, die die ganze Zeit mit Myriams Stimme kreischte. Ich leuchtete mit meiner Taschenlampe in die Höhe und sah ... ja, schöne Dinge sah ich da. Ich sah nämlich der Myriam buchstäblich unter den Rock, und ich muß sagen, ich war ganz fasziniert, denn ihre Beine waren noch viel wohlgeformter, als ich sie mir die ganze Zeit über in meiner Phantasie ausgemalt hatte. Sie, nämlich Myriams Beine, waren aber nicht so wie die meinen vorhin an den Vorsprüngen in der Schachtwand abgestützt, sondern umklammerten krampfhaft den Strick; ich spürte sogar, wie dieser zitterte. Und ich rief ihr unverzüglich hinauf, sie solle sich lieber an der Wand abstützen, aber sie hörte nicht auf mich, und dann kam sie mir auf einmal rasch und immer rascher entgegen, und ich stand entsetzt und zugleich fasziniert - ihr wißt schon, von was! -, und dann machte es bums!, und sie war sozusagen auf mir gelandet, und wir lagen alle zwei am Boden; das heißt, ich lag am Boden, und sie lag auf mir, und beide waren wir eine Zeitlang ziemlich benommen. Und dann begann sie leise zu wimmern und rappelte sich auf, und ich rappelte mich auf und rieb mir verschiedene Körperteile, die nach und nach zu schmerzen anfingen, und betrachtete gleichzeitig halb besorgt, halb belustigt die Myriam. Sie betrachtete umgekehrt mich und machte dabei ein weinerliches und zugleich irgendwie nicht ganz unzufriedenes Gesicht. Und plötzlich streckte sie ihre Arme nach mir aus, als wollte sie mir um den Hals fallen, hielt aber mitten in der Bewegung inne und sagte dann mit völlig veränderter Stimme: 'He, was tut denn der da?' Und dabei schaute sie den Kerl hinter mir an; offensichtlich hatte sie den erst jetzt bemerkt. Hierauf schluckte sie schwer, bedankte sich etwas verlegen dafür, daß ich sie aufgefangen hatte, und fragte, ob ich mir dabei weh getan hätte. Ich sagte, ja, aber nur ein bißchen, und fragte sie, wie's in der Hinsicht bei ihr ausschaue. Daraufhin hielt sie mir wortlos ihre Hände entgegen, und die, das heißt, ihre Innenseiten, waren total aufgeschürft. Und dann bückte sie sich und hob den Saum ihres über die Knie reichenden Rocks ein Stück in die Höhe: dieser war zerrissen, und die Innenseiten ihrer hübschen Knie waren ebenso aufgeschürft wie die ihrer Hände.
Aber bevor ich dazu noch irgendwas sagen konnte, merkte ich, wie sich der Strick von neuem bewegte, schaute hinauf und erkannte dieselbe Situation wie gerade eben und wußte im selben Moment: da kommt jetzt meine Lydia. Da schob ich die Myriam rasch zur Seite und postierte mich wieder unter dem Schacht, um die Lydia, falls nötig, aufzufangen. Es war aber nicht nötig: sie kraxelte ziemlich geschickt herunter, und ich mußte sie zwar nicht auffangen, empfing sie aber in meinen Armen, und sie gab einen lauten Seufzer von sich und fiel mir aufatmend um den Hals. Und so verblieben wir eine Zeitlang, Wange an Wange, ohne ein Wort zu wechseln, bis mir bewußt wurde, daß sich der Strick schon wieder bewegte. Da zog ich sie rasch aus der Gefahrenzone, und wirklich landete Sekunden später einer dieser Kerle, und zwar der Wilde, der mich zum Schiffen begleitet und mir diese tolle Ohrfeige verpaßt hatte. Der landete also neben uns und begrüßte uns, indem er uns wie ein Verrückter anbrüllte und uns zugleich sein bewußtes Lieblingsspielzeug unter die Nase hielt. Inzwischen hängte der andere, der Angsthase, jedem von uns einen Sack um die Schulter; dann schnappte er sich einen Kanister, und der Wilde schnappt sich einen Kanister; sodann riefen sie beide im Chor 'jalla, jalla', und der Angsthase marschierte los, und hinter ihm marschierte Myriam los. Lydia und ich marschierten nicht los, sondern schauten uns gegenseitig träumerisch oder melancholisch an und hätten uns gern noch einmal umarmt, aber da stieß mir der Wilde sein Schießeisen in den Rücken und brüllte dazu aus Leibeskräften 'jalla' und noch was Arabisches, was sehr gefährlich klang. Naja, und so ließen wir halt schweren Herzens voneinander und folgten der Myriam nach.
Nun war das ja durchaus nichts Neues - ich meine: daß wir der Myriam nachfolgten. Und auch daß wir ihr durch lange, dunkle Gänge nachfolgten, war keineswegs was Neues. Nur, was ihre Erklärungen anlangte - ja, in dieser Hinsicht erinnerte sie mich heute
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