Geliebte Myriam, geliebte Lydia
die vier von gestern abend. Und dann war da noch ein Fünfter, dessen Umrisse mich an irgend jemanden erinnerten. Und dann wußte ich, an wen sie mich erinnerten: an den einen von unseren zwei Freunden und Helfern nämlich. Und ich schaute genauer, und er war's wirklich! Und zwar war's derjenige, den ich beide Male im Antiquitätenladen gesehen hatte. Da fiel mir ein Stein vom Herzen, nein, eine ganze Steinladung, und ich jubelte und ging mit offenen Armen auf ihn zu, um ihn ungefähr so zu begrüßen, wie mich manchmal Machmut begrüßt hatte - ihr wißt schon: wo ich mich jedes Mal fast geniert hatte, weil ich dachte, meine Leute könnten glauben, ich sei ein warmer Bruder -, und um ihm außerdem für unsere Rettung zu danken; und meine zwei Lieben gingen zwar nicht mit offenen Armen auf ihn zu, aber ich hörte sie ebenfalls jubeln.
Ich ging also mit offenen Armen auf unseren edlen Retter zu, um ihn auf das allerherzlichste zu begrüßen und ihm auf das allerherzlichste zu danken. Und was tut er? Er holt mit seiner rechten Hand aus und schlägt sie mir mit aller Wucht ins Gesicht, so daß ich fast das Gleichgewicht verliere, nicht nur wegen der Wucht des Schlages, sondern mindestens ebenso vor Überraschung. Aber keine Angst: er war wuchtig genug, und was ich in der letzten Nacht so schmerzlich vermißt hatte, nämlich den Anblick der lieben Sternlein, das konnte ich jetzt wenigstens für kurze Zeit genießen. Interessant war auch folgendes Phänomen: er bewegte seinen Mund, und zwar äußerst hektisch, um nicht zu sagen: wild, wie beim schnellen und erregten Sprechen, aber ich hörte eine Zeitlang gar keinen Ton, sondern es war, wie wenn man einem hinter einer Auslagenscheibe beim Reden zuschaut, oder wie in einem alten Stummfilm, falls ihr so was schon einmal gesehen habt - jedenfalls war der Ton weg, oder ich hatte Empfangsstörung. Vielleicht amüsierte er sich über meine Haltung; ich stand nämlich immer noch mit ausgestreckten Armen vor ihm, in eingefrorener Bewegung, wie man sagt, und ich muß ihm vorgekommen sein wie ein Schauspieler, der eine Pantomime vorführt, oder, falls er klassische Bildung besaß, wie einer, der von Perseus mit Hilfe des Gorgonenhauptes in Stein verwandelt worden war.
Und dann war der Ton plötzlich wieder da - aber zu meiner Enttäuschung war der akustische Genuß nur sehr begrenzt. Es war ein Ton Marke 'Kasernenhof', und auf den steh' ich, ehrlich gesagt, nicht besonders. Zum Glück verstand ich eh nur Bahnhof, und daher versuchte ich nach einiger Zeit von mir aus den Ton abzuschalten, was mir allerdings leider nicht gelang. Aber ein anderer Ton machte sich jetzt mehr und mehr geltend, und der kam von innen, direkt aus meinem Kopf, und das war ein leises Brummen, und ich bekam mit der Zeit einen richtigen Brummschädel, und ich hatte bald ein Gefühl, als ob ich besoffen wäre, und mir tat nicht nur der Kopf entsetzlich weh, sondern dazu war mir noch ausgesprochen schlecht.
Plötzlich drehte er sich nach seinen Komplizen - so muß ich sie von nun an wohl nennen - um und schnarrte die genauso an, wie er bisher uns angeschnarrt hatte. Und die drehten sich auf der Stelle um und stürzten auf unsere Säcke zu, und das machten sie mit einem solchen Eifer, daß zwei von ihnen mit ihren Köpfen zusammenstießen, und zwar mit einer derartigen Heftigkeit, daß es laut vernehmlich krachte. Funken hab' ich zwar keine sprühen gesehen, aber dafür schon wieder die lieben Sternlein. Und das kam so: wie die zwei so lustig mit ihren Hohlköpfen zusammenkrachten, platzte ich trotz meinem Brummschädel laut heraus und bekam einen richtigen Lachkrampf - na, wenn er's schon so spannend macht!
So eine ähnliche Situation hab' ich einmal als Bub erlebt. Ihr könnt euch bestimmt noch erinnern, daß ich in unserer Gymnasialzeit in Melk Sängerknabe war; zu denen hatten mich meine Eltern gesteckt, weil ich eine halbwegs akzeptable Stimme hatte und sie dadurch kein Schulgeld für mich zu bezahlen hatten. Naja, und im Musikkammerl neben dem Konvikt probten wir halt immer mit unserem Bratschinger seligen Angedenkens oder Bratsch, wie wir ihn nannten. Der war ja im allgemeinen ein äußerst gutmütiger Kerl, nicht wahr, und wir haben ihn eigentlich heiß geliebt. Aber ab und zu hatte er halt einmal eine grantige Phase, und dann war auf unserer Seite besser diplomatisches Verhalten angebracht, und so was hab' ich, wie ihr wißt, noch nie besonders gut beherrscht.
Naja, und da haben wir eben eines
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