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Geliebte Myriam, geliebte Lydia

Geliebte Myriam, geliebte Lydia

Titel: Geliebte Myriam, geliebte Lydia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Plepelits
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schreckliche Müdigkeit von vorhin über mich kam, und ich verspürte wirklich keine Lust mehr, heute noch Überstunden zu machen.
    Also stapfte ich vorsichtig zu meinen zwei Süßen zurück und berichtete ihnen endlich in aller gebotenen Ausführlichkeit, was ich soeben Spannendes entdeckt hatte. Sie hatten aber inzwischen auch was entdeckt: unter dem Intarsientisch, der uns den Abstieg ermöglicht oder zumindest erleichtert hatte, lagen größere und kleinere Steinbrocken. 'Na und?' meinte ich, zuckte mit der Schulter und machte höchstwahrscheinlich ein ziemlich enttäuschtes Gesicht.
    'Keine Kunstwerke, ich weiß!' erwiderte Myriam lachend. 'Aber schau nur, wo sie liegen und wie sie aussehen!'
    Nun, wo lagen sie denn? Unterm Tisch. Und damit ...? Und damit genau unter unserem Schönen Loch. Und wie sahen sie aus? Ja, wie denn? Nun, exakt wie die Felswand, durch die unser Schönes Loch gebrochen war. Und damit wußten wir erstens - was wir sowieso schon vermutet hatten -, daß man unser Schönes Loch erst nachträglich zur Verbindung der beiden Grabanlagen in die trennende Felswand gebrochen hatte, und zweitens, daß der Intarsientisch tatsächlich erst nachträglich an diesen Platz hier gestellt worden war, offenbar, um Besuchern das Ein- und Aussteigen zu erleichtern. Und der umgestürzte Stuhl daneben? War der vielleicht einmal zu demselben Zweck auf dem Tisch gestanden? Und hatte ihn der letzte Besucher, bevor er das Loch von der anderen Seite verbarrikadierte und unkenntlich machte, hinuntergestoßen? Durchaus möglich. Jedenfalls würden wir ihn wieder auf den Tisch stellen und uns auf diese Weise das Zurückklettern erleichtern.
    Jetzt fiel mein Blick wieder auf die Trompete und die Lyra auf der wundervoll verzierten Truhe neben uns. Diese zwei Instrumente ließen mir keine Ruhe. Vielleicht könnt ihr euch noch erinnern, daß ich als Junger beim Bratsch unter anderem auch Unterricht im Trompetenspiel bekommen habe. Großer Künstler bin ich zwar keiner, aber hie und da blas' ich mir halt selber was vor, nur so zum Spaß und manchmal zum Abbau von Aggressionen oder Depressionen - und das wirkt, sag' ich euch! Mich wundert nur, daß das die Medizin oder Psychotherapie noch nicht entdeckt hat. Naja, und nachdem ich jetzt schon so lang unter musikalischen Entzugserscheinungen gelitten hatte, juckte es mich jetzt enorm, und ich konnte schließlich der Versuchung nicht widerstehen, griff nach der Trompete, nahm sie mit äußerster Behutsamkeit in beide Hände, beäugte sie von allen Seiten und blies dann versuchsweise hinein. Und siehe da - sie gab einen Ton von sich, und der klang gar nicht so übel. Und ich blies weiter und probierte alles Mögliche aus, und ich fand, daß ich mit einiger Übung dieser jahrtausendealten Trompete vermutlich ganz akzeptable Töne entlocken könnte.
    Während ich mich also hingebungsvoll der Trompete widmete, hörte ich auf einmal neben den von mir erzeugten Tönen einen ganz anderen Ton. Ich schaute auf und sah, wie Lydia mit der Lyra hantierte und deren Saiten zupfte. Die waren nun zwar zweifellos arg verstimmt, und die Musik, die sie hervorbrachte - falls ich sie überhaupt so nennen darf - klang auch genauso, nämlich verstimmt, aber das mußte sich doch ändern lassen, oder nicht? Ich setzte die Trompete ab und legte sie auf den Intarsientisch und wollte gerade die Lyra in Lydias Händen untersuchen, da schreckte mich ein leiser, aber intensiver Schrei aus Myriams Mund auf und lenkte meine Aufmerksamkeit auf sie. Sie hatte offenbar die Gelegenheit beim Schopf gepackt und sich entweder aus Langeweile oder aus Neugier über die kostbar verzierte Truhe hergemacht und ihren Deckel geöffnet. Und offenbar hatte sie darinnen irgendwas Interessantes entdeckt und darum den Schrei ausgestoßen. Also reckte ich den Kopf und spähte in die Truhe hinein und stieß nun meinerseits einen Schrei der Überraschung und zugleich des Entzückens aus, und gleichzeitig stieß Lydia einen ebensolchen Schrei aus, nur in einer wesentlich höheren Stimmlage, und so schrien wir quasi im Chor, und ich glaube, es klang richtig musikalisch. Ja, und was sahen wir denn so Überraschendes und Entzückendes in der Truhe? Antwort: Schmuck. Die Truhe war voll mit herrlichstem und vielfältigstem Schmuck: Halsketten, Anhänger, Ringe, Armreifen, und was weiß ich noch alles; ich kenn' mich bei Schmuck ja nicht so aus; hier müßten wir eigentlich die Lydia erzählen lassen. Und dann erst die Vielfalt der

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