Geliebte Myriam, geliebte Lydia
und hier sitzend betrachte ich deine überirdische Schönheit, die die Schönheit der Schätze der Dämonen bei weitem übertrifft.
Und nun will ich dir, o Herr, meine Sünden bekennen, damit du mir in deiner unermeßlichen Güte und Barmherzigkeit verzeihst.
Meine leiblichen Eltern habe ich früh verloren und wurde daher nach ihrem Tod von meinem Onkel gottesfürchtig erzogen. Im Alter von 18 Jahren erkannte ich den hohen Wert des jungfräulichen Standes und beschloß, stets in diesem dir allein zu dienen (oder, anders übersetzt: Sklave von dir allein zu sein). Als mein Onkel, der noch vielen weltlichen Ansichten ergeben war, dies hörte, war er sehr entsetzt und drang ständig in mich, ich möge doch heiraten. Und so entschloß ich mich nach langem innerem Kampf und nach anhaltendem Gebet, mir eine christliche Braut zu suchen und mit ihr wie Bruder und Schwester jungfräulich zusammenzuleben. Du, o Herr, erhörtest meine Gebete, und ich fand eine tugendhafte Jungfrau, welche hocherfreut war, als ich ihr meinen Entschluß mitteilte. Wir traten in den heiligen Stand der christlichen Ehe und bewahrten in aller Reinheit unsere jungfräuliche Unschuld. Mit der Zeit aber folgten wir dem Gnadenzug der göttlichen Liebe und trennten uns nach achtzehnjähriger jungfräulicher Ehe, um unser restliches Leben dir, o Herr, allein zu weihen und uns in der Einsamkeit durch Askese auf den Tod vorzubereiten. Ich zog in die Wüste und erbaute mir in der Nähe meines Heimatdorfes eine Hütte, um in ihr für mich allein zu beten und zu psalmodieren und zu fasten. Viele Leute gaben mir Aufträge für Handarbeiten wie Körbeflechten und Seildrehen, und was ich verdiente, gab ich als Almosen für wandernde Asketen aus.
Damals wurde Satan auf mich neidisch wegen des Lohnes, den ich vor dir, o Herr, erntete für das, was ich für die wandernden Asketen tat und für andere Menschen, die in Not waren. Darum fuhr er in eine gewisse heilige Jungfrau ein, die zu mir zu kommen und mich mit einer bestimmten Handarbeit zu beauftragen pflegte. Nachdem wir miteinander frei genug geworden waren, aßen wir zusammen Brot, und da stellte sich etwas ein, bis wir den Tod gebaren und die Zuchtlosigkeit zeugten, und als ich schließlich mit ihr der Torheit verfallen war, blieben wir sechs Monate lang in dieser Zuchtlosigkeit. Danach besann ich mich in meinem Herzen auf das, was ich getan hatte, bereute und weinte sehr und seufzte tief und dachte, als ich allein war, folgendes: 'Wenn wir heute sterben müßten, würden wir mit schwerer Strafe bestraft, mit Heulen und Zähneknirschen, mit ewiger Finsternis und mit unlöschbarem Feuer. Auf, fort von hier, auf in die Wüste!' So hoffte ich der Sünde zu entkommen. Und ich stand auf, ging weg und zog in diese Wüste hier, in dieses Gebirge hier, in diese Finsternis hier, um jener Frau aus dem Weg zu gehen, um für meine Sünden zu büßen und der ewigen Finsternis zu entkommen.
Da ich meine Askese so weit wie möglich vervollkommnete, verbreitete sich mit der Zeit der Ruf meiner Tugenden, und viele suchten mich auf, um sich an mir zu erbauen und mich um mein Gebet anzuflehen. Eines Tages brachten mir ein Mann und eine Frau ihren von einem Dämon besessenen und wahnsinnig gewordenen Sohn zu mir und baten mich um Hilfe. Als ich den Knaben sah, sagte ich zu ihnen: 'Mein Gebet vermag nichts bei Gott, und schon gar nicht, daß an eurem Kind ein Wunder geschehe. Jedoch könnt ihr ihm selbst helfen. Gebt nur so bald wie möglich der armen Witwe die Kuh zurück, die ihr ihr gestohlen habt, und euer Kind wird von dem Dämon befreit werden!' Über diese Worte waren sie ganz betroffen und befolgten meinen Rat, und der Knabe wurde gesund. Hierauf suchten sie mich, gemeinsam mit Serapion - so hieß der Knabe -, wieder auf, um mir für seine Rettung zu danken. Ich aber antwortete ihnen, sie müßten Gott, nicht mir danken; der einzige der Sache angemessene Dank an Gott sei es jedoch, ihm den Knaben ganz zu weihen und als Novizen der Askese mir zu überlassen. Zugleich zog ich ihn an mich heran, umarmte ihn, küßte ihn mit heiligem Kuß und verströmte ihm gegenüber den Duft der Unsterblichkeit. Und er vertraute mir, und ihn ergriff die Liebe, mir zu folgen, und die Sehnsucht, Sklave von mir allein zu werden, und er trennte sich von Eltern, Geschwistern, Freunden und Verwandten und von sämtlichen Freuden der Welt. Und so wurde ich sein geistiger Vater und führte ihn zu dir, o Herr, und er machte sich freiwillig zu
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