Geliebte Myriam, geliebte Lydia
meinem Sklaven und war mir in jeder Hinsicht zu Willen; die niedrigsten Arbeiten ließ er sich von mir auftragen, und hätte ich ihm befohlen, sich ins Feuer zu werfen oder sich in den Abgrund vor unserer Zelle zu stürzen - er hätte das mit Freuden und mit Bereitwilligkeit getan. Und ich liebte ihn wie einen Sohn und noch mehr, und ich begann zu überlegen, was ich ihm schenken könnte. Aber ich besaß ja nichts - außer meine Liebe.
Da zeigtest du ihm den Abgang ins Schatzhaus der Dämonen, o Herr, und gabst ihm ein den Mut, ihn zu öffnen. Und er stieg hinab und veranlaßte auch mich hinabzusteigen. Und nachdem wir über die Vielfalt und den Reichtum der Schätze zur Genüge gestaunt hatten, entdeckte ich zu unserem gemeinsamen Unglück diesen Behälter voller dämonischer Juwelen und beging den Fehler, ihm einen Siegelring zu entnehmen und Serapion als Geschenk zu weihen. Denn damit entfremdete ich ihn dir, o Herr, und lieferte ihn der Macht der Dämonen aus, und er wurde widerspenstig und begann, meine Liebe zurückzuweisen und sich nach dem materiellen Licht und nach dem Reich der Dämonen zu sehnen. Und dann war er eines Tages verschwunden und ließ mich einsam und verzweifelt zurück. Und meine Verzweiflung wurde nur noch größer, als ich entdeckte, daß zahlreiche dämonische Juwelen aus diesem Behälter fehlten, denn ich wußte, daß Serapion damit immer stärker unter die Macht der Dämonen geraten wird und sein Seelenheil in größter Gefahr ist. Ich aber konnte nur trauern, bereuen und meine Askese verstärken. Und darum habe ich mich entschlossen, auf die einzige Freude der Welt, die ich mir und Serapion noch gegönnt hatte, nämlich die Musik, zu verzichten und die beiden Instrumente, mit denen wir uns zu erfreuen und unseren Gesang zu begleiten pflegten, als Buße und Ersatz für die entnommenen Juwelen den Dämonen zu überlassen. Schließlich werde ich den von Serapion geöffneten Abgang zu deren Schatzhaus, so gut und so sicher ich kann, verschließen und mich im übrigen völlig in meinem Grab einschließen, als wäre ich schon gestorben, stets daran denkend, daß der Tod zu jeder Stunde nahe ist; und dabei will ich den Leib durch Fasten und alle anderen Übungen der Enthaltsamkeit demütigen, mich vor deinem Angesicht niederwerfen, unermüdlich gegen die Dämonen kämpfen und meine Sünden beweinen, stets das Wort des Zöllners im Herzen tragend.
Ja, und damit endeten die Bekenntnisse des Gottessklaven Epiphanios, und meine zwei Süßen, denen ich sie gleich vorübersetzt hatte, schauten höchst beeindruckt drein, und Lydia sagte nur 'Soso!' und nickte dabei verständnisvoll, während Myriam gar nichts herausbrachte und nur große Augen machte. Ich selber dachte kurz nach über das, was ich soeben gelesen hatte, und bemerkte dann: 'Sagt einmal, ist euch eigentlich was aufgefallen - ich meine: etwas, was uns betrifft oder betreffen könnte?' Und als sie mich beide nur weiterhin groß anschauten, zeigte ich auf eine bestimmte Stelle im griechischen Text und erklärte: 'Dieser Satz hier: „... hätte ich ihm befohlen, sich ins Feuer zu werfen oder sich in den Abgrund vor unserer Zelle zu stürzen ...“ - der ist doch in zweierlei Hinsicht für uns interessant: er erklärt erstens, wieso die Plafonds in der Hotelsuite zum Teil rußgeschwärzt sind, nicht? Und zweitens beweist er - was ich ja immer schon vermutet habe -, daß es da noch einen anderen Zugang von außen geben muß, und zwar ganz in der Nähe der Hotelsuite, einen Zugang, der über einem Abgrund liegen muß.' Und ich las noch einmal langsam und nachdenklich: '... in den Abgrund vor unserer Zelle ... Na, was sagt ihr jetzt?'
Und was sagten sie jetzt, meine zwei Süßen? Nun, Myriam sagte: 'Wann gehen wir denn endlich heim? Ich bin schon so müde!' Und Lydia blies ins selbe Horn und sagte: 'Ich bin schon fast verhungert und verdurstet!'
Naja, sie hatten ja recht, die Guten! Mir ging's ja auch nicht anders. Mich hatte zuletzt nur mehr die durch diese tollen Entdeckungen ausgelöste Erregung aufrecht gehalten. Also gut, dann wollen wir heim wandern, wie Myriam das so entzückend genannt hat! Ich rollte den Papyrus wieder zusammen, legte ihn in die Truhe zurück, klatschte wie vor meinen Schülern in die Hände und rief: 'Also dann, auf, auf, an den Futtertrog und ins Betti!' Inzwischen machte Myriam den Deckel der Truhe behutsam zu, und Lydia legte die Lyra, die sie immer noch in ihren Händen gehalten hatte, mit derselben
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