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Geliebte Myriam, geliebte Lydia

Geliebte Myriam, geliebte Lydia

Titel: Geliebte Myriam, geliebte Lydia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Plepelits
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müßten sich aber der allergrößten Vorsicht befleißigen, ganz besonders Myriam mit ihren zierlichen Spielzeugsandalen. Unsere Taschen und Freßsäcke würde ich später allein nachholen.
    Und was nun? So genau hatte ich mir das alles noch gar nicht überlegt. Nach kurzem Zögern entschloß ich mich, es zuerst bei der Lydia auszuprobieren; sie sollte erst einmal allein, aber unter meiner Aufsicht durchs Schmale Loch klettern und danach auf Myriam und mich warten. Sie ließ sich das nicht zweimal sagen und begann sofort hinaufzuklettern und stellte sich dabei, wie ich zu meiner Befriedigung gleich erkannte, gar nicht ungeschickt an. Und schon war sie durchs Schmale Loch verschwunden, und jetzt kam Myriam dran. Die stellte sich leider bei weitem nicht so geschickt an, und zwar offenbar nicht nur wegen ihrer Sandalen. Ich begleitete sie daher, soweit das ging, das heißt, ich blieb neben ihr und führte ihr abwechselnd die Hände und Füße, und sie ließ das mit größter Geduld über sich ergehen und versuchte erst gar nicht, einen Schritt auf eigene Faust zu tun. Erst das Schmale Loch hinderte mich daran, ihr die Hände zu führen; es hinderte mich aber nicht daran, ihr die Füße zu führen, indem ich knapp hinter ihr nachkletterte. Und wie ich anschließend erfuhr, half ihr dann die oben wartende Lydia bei der Suche nach geeigneten Griffen für die Hände.
    So, der erste Akt des Dramas war geschafft! Ich hatte sie alle beide über dem Schmalen Loch. Doch bevor man zum zweiten Akt übergehen konnte, galt es vorerst, das Wunder des Tageslichts und den so unverhofften Anblick des blauen Himmels oder zumindest eines kleinen Ausschnitts daraus mit Jubel und Freudentränen zu feiern - quasi ein Chorlied zwischen dem ersten und zweiten Akt wie im griechischen Drama. Das Blau war übrigens inzwischen deutlich heller und reiner geworden; die Staubwolke hatte sich schon etwas verflüchtigt oder gelegt oder beides.
    Nun also zum zweiten Akt, dem Übergang auf den alten Berghang! Wie sollten wir den am besten und sichersten bewerkstelligen? Das war nämlich so: über der Mulde, wo sich Felssturz und Berghang berührten, verlief die Linie des letzteren nach oben zu noch mehrere Meter weit praktisch senkrecht, um dann unvermittelt umzubiegen und das schon erwähnte flachere Stück zu bilden, bevor sie wieder steil wurde und zuletzt in den überhängenden Felsvorsprung überging. Man konnte also nur entweder den senkrechten Berghang hinaufklettern oder aber den wesentlich leichteren Anstieg über den Felssturz wählen und in der entsprechenden Höhe auf das flachere Stück hinüberspringen. Wir machten's schließlich folgendermaßen: wir kletterten nach der bereits bewährten Methode in schräger Linie den Felssturz hinauf, und zwar bis zu einer Stelle, wo der Abstand zur erwähnten Kante des Berghangs besonders gering war, nämlich kaum mehr als einen Meter, und wo außerdem besagte Kante besonders ausgeprägt war. Dort ließ ich meine zwei Süßen in der Hoffnung, daß sie nicht vor Angst abstürzen oder in die Hose machen würden, zurück, stieg noch ein Stück höher und sprang dann auf die Kante hinüber; sodann stützte ich mich auf dieser auf, reichte meinen Süßen über den Abgrund die Hand und zog sie faktisch zu mir herüber; das heißt, zuerst zog ich die Lydia herüber und dann mit deren Hilfe auch die Myriam. Und Gott sei's gedankt, das funktionierte tadellos.
    Das war also der zweite Akt gewesen. Gab's vor dem dritten Akt noch ein Chorlied? Klar, zwei sogar: erstens gemeinsames Zähneklappern wegen der ausgestandenen Angst, und sobald wir damit fertig waren, erneuten Jubelgesang über den inzwischen noch blauer gewordenen Himmel und den merklich größer gewordenen Ausschnitt daraus. Und jetzt fiel der Lydia auf, daß wir eigentlich schon längst unsere Taschenlampen hätten ausschalten können, und das holten wir umgehend in Form einer feierlichen Zeremonie nach. Der dritte Akt selber gestaltete sich dann überhaupt nicht dramatisch. Er bestand nur aus einer leichten Wanderung über das mit Felsbrocken in allen Größen übersäte flachere Stück unter dem überhängenden Felsen, wenige Meter nur, bis zur erwähnten Steinmauer. Deren Übersteigung konnte sich somit als vierter Akt sofort anschließen. Der war dann zur Abwechslung wieder ausgesprochen dramatisch, denn die Steinmauer erwies sich als äußerst brüchig, und es fehlte nicht viel, und ich wäre abgestürzt und hätte dabei vielleicht auch noch meine

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