Geliebte Myriam, geliebte Lydia
Freiheit erst eröffnet hatten? Nach kurzem innerem Kampf entschloß ich mich, sie jetzt einfach an Ort und Stelle liegen zu lassen. Hier waren sie für den Augenblick vermutlich am besten aufgehoben und vor eventuellen Grabräubern bestimmt durch ihren geringen materiellen Wert geschützt; und außerdem hatten sie ja doch ein ansehnliches Gewicht.
Ja, und damit hatten wir also unser unterirdisches Verlies wirklich und endgültig verlassen, die Zeit unserer Gefangenschaft war vorbei, und wir atmeten wieder die herrliche Luft der Freiheit. Ich konnte es kaum fassen. Ich fürchtete immer noch, zu träumen und dann plötzlich aufzuwachen und mich in einem finsteren Verlies wiederzufinden.
Na, und meine zwei Lieben und Süßen? Hatten die auch Mühe, diesen Wechsel unserer Lebensumstände zu glauben? Fürchteten sie auch, zu träumen und in einem finsteren Verlies wieder aufzuwachen? O nein! Beileibe nicht! Sondern sie waren offenbar auf der Stelle eingeschlafen und schlummerten jetzt trotz der harten und unebenen Unterlage tief und fest und träumten vermutlich was Schönes. Naja, da wollte ich sie natürlich nicht aus ihrem süßen und wahrhaft wohlverdienten Schlummer reißen, sondern setzte mich neben sie und trank eine halbe Flasche leer, damit der Sack leichter wird, hob mir aber das Essen trotz böse knurrendem Magen auf eine spätere, gemeinsame Mahlzeit auf; sodann legte ich mich ebenfalls auf dem steinigen Boden hin, um das herrlich reine Blau des Himmelsgewölbes zu betrachten und das Gefühl der neugewonnenen Freiheit zu genießen und mich dabei ein wenig auszuruhen und gleichzeitig einfach zu warten, bis meine zwei Süßen wieder wach würden. Und das war mir jetzt gerade recht; so konnte ich ja dieses Gefühl der Erleichterung umso besser genießen.
Jawohl, ich fühlte mich grenzenlos erleichtert, beschwingt, beflügelt - wie eben auf den Flügeln der Freiheit. Und da erhebe ich mich von dem steinigen Boden - das heißt, ich hebe vom Boden ab und steige auf den Flügeln der Freiheit in die Unendlichkeit des Himmels auf - jetzt hält mich ja kein unterirdisches Verlies mehr gefangen -, und mit dem einen Arm halte ich Lydia fest, und mit dem anderen Arm halte ich Myriam fest, und so schweben wir gemeinsam in die Höhe und jubeln und vergießen Freudentränen und fühlen uns einfach grenzenlos erleichtert. Und wir fliegen übers Land, und die Menschen winken uns zu, wie sie einst auch Dädalus und Ikarus zugewinkt haben. Aber wir stürzen nicht ab - o nein, keine Angst! Wir fliegen ja auf den Flügeln der Freiheit! Und wir fliegen heimwärts! Und so lassen wir die Berge hinter uns und erreichen schließlich Melk, wo wir im Stiftspark sicher landen. Und dann feiern wir Hochzeit. Ich lege den einen Arm um Lydia und den anderen Arm um Myriam, und so ziehen wir zu dritt feierlich in die Stiftskirche ein, und der Bratsch spielt die Orgel, und die Sängerknaben singen, und vor uns wartet am Hochaltar der Bischof, der uns trauen soll, alle drei. Und die gemalten Götter und Heiligen an den Kirchenwänden jubeln uns zu und spenden uns ihren Segen, und ich wende mich um und erkenne über dem Eingangsportal eine lange griechische Inschrift. Und ich blicke sehnsüchtig zu ihr hinauf und versuche sie zu entziffern, aber es geht nicht, sie ist zu hoch, und es ist zu dunkel. Und wie ich mich schließlich wieder mit Bedauern umdrehe, merke ich zu meinem Entsetzen, daß die eine von meinen zwei Süßen auf einmal verschwunden ist. Da beginne ich verzweifelt nach ihr zu suchen, und ich durchsuche zuerst die Kirche und dann die mittelalterlichen Gewölbe des Stiftskellers. Und die sind mit Sand verschüttet, aber ich finde zum Glück eine altägyptische Haue und wühle mich durch und taste alle Wände ab - aber ich kann und kann die Gesuchte nicht finden, so sehr ich auch schufte und mich abplage. Und es ist alles so finster und eng, und ich fühle mich auf allen Seiten eingeschlossen, ja, eingezwängt, und mein Kopf droht jeden Augenblick zu zerspringen, und es ist alles umsonst, und ich kann nur mehr hilflos auf dem harten, steinigen Boden liegen und mich heulend in mein Schicksal ergeben. Und dann stehen plötzlich die Fundamentalisten vor mir und leuchten mir mit ihrer starken Lampe ins Gesicht und blenden meine Augen so arg, daß die mir aus den Augenhöhlen zu springen drohen. Und inmitten der Fundamentalisten erkenne ich jetzt auch den Bischof. Und der hält mir mit grimmigem Gesicht ein Schießeisen unter die Nase
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