Geliebte Myriam, geliebte Lydia
und sagt plötzlich, auf arabisch zwar, aber ich verstehe jedes Wort, denn er spricht überaus deutlich und so laut, daß mir die Ohren dröhnen: 'Wir haben euch gute Sachen mitgebracht - aus eigenem Antrieb, ohne dazu beauftragt worden zu sein. Und dafür erwarten wir uns etwas Dankbarkeit auf deiner Seite.' Und zugleich stürzt er sich auf mich, und dabei blendet mich das Licht seiner Lampe immer stärker. Da schreie ich empört auf und hole aus, um ihm mit der Faust ins Gesicht zu schlagen - und genau in diesem Moment wache ich auf und spüre gleichzeitig, wie mir der Kopf vor Schmerzen zu zerspringen droht, und erkenne, daß mir die Sonne direkt ins Gesicht scheint und meine Augen blendet.
5. Teil
To be or not to be: that is the question
(SHAKESPEARE)
Gähnen, sagt man, sei ansteckend. Nun, mir kommt vor, Aufwachen ist manchmal genauso ansteckend. So war's jedenfalls damals, als ich mich mit größtem Widerwillen aufsetzte und mich von der Sonne abzuwenden versuchte, weil sie mich blendete und meine Kopfschmerzen ganz und gar unerträglich machte: im selben Moment begann sich zuerst Myriam und dann Lydia zu bewegen; hierauf rieben sich beide die Augen, bevor sie sie aufschlugen und mich ganz betäubt anblinzelten. Schließlich murmelte Lydia: 'Hab' ich einen Hunger!', und Myriam murmelte: 'Wasser!' und dann: 'Mein Kopf!' und legte sich die flache Hand auf die Stirn.
'Hast du auch solche Kopfschmerzen?' fragte ich Myriam, und sie antwortete nach einigem Zögern: 'Nein ... Ich weiß nicht. Ich muß etwas trinken! Dann wird es schon besser werden. Hast du Kopfschmerzen?'
'Ja, furchtbare! Und dazu tut mir der ganze Körper weh, besonders der Rücken.'
Ja, und so stellte es sich heraus, daß sich bei allen dreien die anfängliche Euphorie und das damit verbundene Wohlbefinden total verflüchtigt hatte. Nur das Kopfweh war bei mir offenbar ungleich stärker als bei Lydia oder Myriam - aber das war nicht weiter verwunderlich: sie hatten ja auch nicht so eine prachtvolle Beule aufzuweisen wie ich. Na gut, gegen das böse Knurren der Mägen gab's eine rasche und zuverlässig wirkende Abhilfe, und es war übrigens auch kein Wunder, daß sie so böse knurrten; immerhin zeigten unsere Uhren übereinstimmend schon fast zwölf Uhr, und wann hatten wir das letzte Mal getafelt? Und was hatten wir seitdem getrieben? Beinahe hätte ich gesagt: miteinander getrieben? Und es war ganz klar, daß das alles nicht ohne Folgen bleiben konnte, und diese Folgen waren nicht nur ein gewaltiger Hunger und ein ebenso gewaltiger Durst, sondern leider auch ein sagenhafter Muskelkater, und gegen den gibt's meines Wissens keine rasche und zuverlässig wirkende Abhilfe. Und so wären wir, nachdem einmal das wilde Knurren unserer Mägen beschwichtigt war, natürlich am liebsten liegengeblieben, das heißt, wir hätten uns am liebsten wieder hingelegt und weitergeschlafen - wenn nur der Boden nicht so verdammt hart und uneben gewesen wäre! Und wenn nur die Sonne nicht so verdammt hergebrannt hätte! Aber auch wenn wir da auf einem weichen Rasen oder gar auf einem bequemen Liegebett im Schatten grüner Bäumen gelegen wären - man wird doch schließlich noch von was Schönem träumen dürfen -, es ging selbstverständlich nicht. Wir mußten weiter. Und wir mußten weg von hier.
Und damit erhob sich automatisch die Frage: wohin? Ich wandte der Myriam einen fragenden Blick zu, und das gleiche machte Lydia. Aber Myriam konnte diese Frage auch nicht beantworten; sie kannte sich hier genauso wenig aus. Was blieb also anderes übrig, als auch noch den armen Kopf zu strapazieren und sich darüber Gedanken zu machen? Wie schauten nun die örtlichen Verhältnisse aus? Wohin man auch blickte - auf allen Seiten sahen wir uns von schroffen Felswänden oder eben Felsstürzen umgeben. Wir befanden uns in einer kleinen Schlucht und hatten fürs erste, so schien es, ohnehin nur die eine Möglichkeit, entlang dem Hang in das steinige Trockenbett des Wadis zu gelangen und durch dieses weiter abzusteigen, ganz egal, in welche Richtung uns das führen würde. Da es übrigens gerade Mittagszeit war, waren die Himmelsrichtungen sehr einfach zu bestimmen. Wir saßen hier demnach auf einem Südhang, und das Wadi verlief ungefähr in Richtung Osten. Und in welche Richtung wollten oder vielmehr mußten wir? Nach Osten, nicht? Naja, je nachdem, wo die uns hingebracht hatten. Andererseits: allzu weit von den bekannten thebanischen Gräbern konnte das hier wohl nicht
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