Geliebte Myriam, geliebte Lydia
Myriam unentwegt mit großen Augen betrachtete, nur kamen mir diese jetzt nicht mehr wirklich ausdruckslos vor, sondern - ich konnte mir nicht helfen - ausgesprochen lüstern; und mit seinen großen, lüsternen Augen betrachtete er nicht so sehr ihre auftragsgemäß freundlich lächelnden Gesichter - aber die waren ja zur Zeit zugegebenermaßen alles andere als attraktiv, besonders bei Lydia -, sondern mehr ihre unteren Partien. Da schaute ich selber genauer, und nun ging mir ein Licht auf, und ich sah, was ihn so faszinierte: Myriams Rock reichte ihr zwar über die Knie hinunter, war aber schon seit jenem verhängnisvollen Abend zerrissen, und Lydias Hose - und das fiel mir eigentlich erst jetzt so richtig auf - war seit ihrem jüngsten Sturz total zerrissen, und bei beiden, und ganz besonders bei Lydia, hatte man dadurch tiefe Einblicke; und ich wußte ja selber ganz genau, wie reizvoll das war, was dahinter zum Vorschein kam, und hatte es ja auch selber einmal durchaus zu schätzen gewußt; nur in meinem momentanen Zustand ... Na, jedenfalls wußte ich jetzt, was den Herrn Chauffeur so faszinierte. Wahrscheinlich hatte er sowas noch nie gesehen.
Na gut, herinnen waren wir. Wohin jetzt? Am besten vielleicht in die letzte Reihe, nicht wahr, da fallen wir am wenigsten auf und stören wahrscheinlich auch am wenigsten. Wieder wandte ich mich dem Herrn Chauffeur zu, deutete nach hinten und sagte mit ausgesuchter Höflichkeit: 'Do you think we could sit in the back, sir?' Er hob seinen Kopf, schaute mir kurz mit großen, ausdruckslosen Augen ins Gesicht und senkte ihn sofort wieder, um sich weiterhin dem ihn offenbar maßlos faszinierenden Anblick hinzugeben. Darauf sagte ich noch einmal zur Sicherheit: 'You don't mind, do you?' und gab gleichzeitig der vor mir stehenden Lydia einen leichten Schubs. Diese setzte sich daraufhin in Bewegung, und ich hinter ihr, und Myriam hinter mir - ich blickte mich nämlich eigens um und nickte ihr aufmunternd zu und blickte mich dann noch ein zweites und ein drittes Mal nach ihr um und sah dabei, wie uns der Herr Chauffeur mit offenem Mund und lüsternem Blick nachschaute. Vor der letzten Bankreihe angekommen, blieb Lydia stehen und zögerte sichtlich. Sie blickte unschlüssig hin und her, und schließlich drehte sie sich entschlossen um, murmelte: 'Moment einmal!', zwängte sich an mir und Myriam vorbei und ging zielstrebig ein Stück nach vorne; dann blieb sie stehen, bückte sich zwischen zwei Sitzreihen und zog darauf einen leeren Plastiksack hervor. Damit bewaffnet, kam sie wieder zurück, zwängte sich wieder an Myriam und mir vorbei, breitete seitlich auf der letzten Bank den Plastiksack aus und setzte sich, verschämt lächelnd, drauf. Dann ging ein bezauberndes Leuchten über ihr Gesicht, und sie sagte zur Myriam hinter mir: 'Du könntest dich auf den Wassersack setzen! Die leeren Flaschen könnte man ja herausnehmen!' und zu mir: 'Gibst du der Myriam den Wassersack?' Inzwischen hatte ich schon kapiert, um was es da ging, nahm die zwei Säcke und meine Tasche von der Schulter, entsorgte die leeren Flaschen heimlich, still und leise unter der Bank und überreichte den leeren Sack mit verlegenem Grinsen der Myriam, die ihn mit einer ähnlich verlegenen und trotzdem unbeschreiblich graziösen Geste übernahm, ihn neben Lydia ausbreitete und sich draufsetzte. Mir deutete sie, ich möge mich neben sie in die Mitte der Bankreihe setzen. Das tat ich auch, legte den Freßsack und meine Tasche neben mich und lehnte mich aufatmend zurück. Vielleicht wäre ich auf der Stelle eingeschlafen, wenn da nicht dieses Vibrieren des unentwegt laufenden Motors gewesen wäre. Das drang nämlich jetzt in mein Bewußtsein und löste dort höchst beunruhigende Assoziationen aus, und ich mußte daran denken, wie erst kürzlich der Boden und der ganze Berg rund um uns auf ähnliche Weise vibriert hatte; allerdings war das damit verbundene Dröhnen ungleich lauter gewesen und hatte obendrein ungleich bedrohlicher geklungen, von den Auswirkungen ganz zu schweigen ...
Und noch was verhinderte, daß ich auf der Stelle einschlief: ein entsetzlicher Durst. Der begann mich erst jetzt, wo ich endlich wieder einmal weich und bequem sitzen konnte, so richtig zu quälen; außerdem war die Luft herinnen besonders heiß und stickig. Ich schaute mich nach meinen zwei Süßen um: wenn mich schon so ein entsetzlicher Durst quälte, wie mußte es erst ihnen gehen? Sie mußten ja fast vergehen vor Durst, bei dem
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