Geliebte Myriam, geliebte Lydia
aufgestapelten Kostbarkeiten hindurchschlängeln, und zu hören ist nichts mehr außer diesem gespenstischen Schreien. Und dann haben sie den Durchgang erreicht, und sie bücken sich; und nun hört man neben dem Schreien auch ein heftiges Palaver. Da packt mich Ruschdi am Ellbogen und zieht mich mit sich, durch die Kostbarkeiten hindurch auf das Zentrum des verwirrenden Geschehens zu, und das Schreien und das Palaver werden immer lauter. Und dann sind wir dort und können erkennen, über was sich Ibrahim und Achmad drüberbeugen: über einen Mann in Galabeja nämlich. Dieser Mann liegt in verkrümmter Haltung am Boden und schreit wie am Spieß; neben ihm liegt ein Schießeisen, und dieses liegt inmitten einer Blutlache. Da merke ich, daß seine Galabeja auf der rechten Schulter ein Loch und rund um dieses einen Blutfleck aufweist und daß dieser Blutfleck ständig größer wird, und erleide einen Riesenschock. Nicht so Achmad; der macht sich in aller Seelenruhe an der Galabeja des Liegenden und Schreienden zu schaffen und beginnt sie systematisch zu zerreißen; das heißt, er reißt einen langen, schmalen Streifen heraus und verbindet ihm damit ausgesprochen kunstgerecht die klaffende Wunde. Währenddessen schaue ich mir diesen Liegenden und Schreienden, das heißt, sein Gesicht, etwas genauer an und erleide dabei den nächsten Schock. Diesen Liegenden und Schreienden kenne ich nämlich. Ich kenne ihn zur Genüge. Es ist unser lieber Freund und Helfer, der unsere Reisegruppe von Anfang an begleitet und vor allen Gefahren beschützt hat, der uns später freundlicherweise in unserem Verlies besuchen gekommen ist und Myriam gütigerweise zum wahren, allein selig machenden Glauben bekehrt hat. Jawohl! Ausgerechnet der!
4. Teil
An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen
(MATTHÄUS)
Während Achmad mit dem Verbinden der Wunde beschäftigt ist, macht sich Ibrahim auf andere Weise nützlich. Er konfisziert zunächst einmal das inmitten der Blutlache liegende Schießeisen und reinigt es ungerührt mit den Resten der Galabeja des Verwundeten. Dann blickt er sich händereibend um und sagt was zu Ruschdi, und Ruschdi übersetzt mir, was er gesagt hat: er sei sicher, daß es da noch einen zweiten gebe, und den gelte es jetzt zu finden und dingfest zu machen; ich kenne mich hier ja aus; ob ich ihnen bei der Suche behilflich sein könne? Na, selbstverständlich kann ich das. Und während also Achmad bei dem Verwundeten bleibt und sich weiterhin liebevoll seiner annimmt, mache ich mich zusammen mit Ibrahim und Ruschdi auf die Suche nach dem vermuteten zweiten Mann.
In der mit den Schätzen aus dem inzwischen leider nicht mehr unberührten altägyptischen Grab vollgeräumten äußersten Halle kann er eigentlich nicht gut sein, da sind wir uns alle einig; und wenn, dann ist er längst über alle Berge.
Also wenden wir uns gleich nach innen und beginnen die Suche in der zweiten Halle, der mit den viereckigen Pfeilern. Abgesehen von einer großen Truhe, die die zwei Halunken vermutlich gerade daherschleppten, als sie von uns gestört wurden, und dann einfach absetzten und an Ort und Stelle stehen ließen, um nachzusehen, wer sie denn da mit seinem Besuch beehrt - abgesehen also von dieser Truhe finden wir diese zweite Halle leer. Von einem zweiten Mann keine Spur.
Die dritte Halle finden wir vollkommen leer. Auch in ihr keine Spur von einem zweiten Mann. Dasselbe Bild in der letzten Halle, der kleinen, säulenlosen Kammer.
Da werden die Gesichter von Ibrahim und Ruschdi lang und immer länger. Aber wozu haben sie denn mich mitgenommen? Mich, den intimen Kenner sämtlicher Löcher dieses unterirdischen Labyrinths? Ich steuere natürlich sofort unser Schönes Loch an, Epiphanios' 'Abgang in das Schatzhaus der Dämonen'. Und wie sieht es aus? Vollkommen ungewohnt!
Der von mir und meinen zwei Süßen wieder angehäufte Sand ist zwar wieder abgegraben, und zwar bedeutend besser, ich meine: vollständiger, als wir's uns mit meinem tibetanischen Silberlöffel beziehungsweise mit den nackten Fingern angetan haben, und die Steinplatten sind beseitigt. Trotzdem ist es nicht auf Anhieb zu erkennen. Es ist nämlich verdeckt - nicht von außen, also von unserer Seite her, sondern von innen. Natürlich nur ein Notbehelf.
Ob sich Ibrahim und Ruschdi damit auf Dauer hätten täuschen lassen? Ich kann mir's nicht recht vorstellen. Ich ließ mich jedenfalls auch nicht eine Sekunde lang täuschen, sondern ging sofort auf das Schöne Loch zu,
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