Geliebte Myriam, geliebte Lydia
ihr Leben genossen haben. Weißt du, sie genießen ihr Leben gar nicht. In ihrem Leben haben sie praktisch nichts zu genießen; sämtliche Genüsse sind ihnen strengstens verboten - wie erwähnt, selbst so harmlose Freuden wie das Singen und Musizieren und Musikhören. In dieser Welt sind ihnen eigentlich nur zwei Dinge erlaubt: beten und Ungläubige töten. Im Paradies sind sie hingegen sämtliche Verbote, die sie auf Erden plagen, mit einem Schlag los.'
'Na bitte', wandte ich kopfschüttelnd ein, 'kann man denn das überhaupt vergleichen?'
'Jawohl, das kann man vergleichen; jedenfalls tun das ihre Emire. Denn - so schwärmen die ihnen vor - im Paradies stehen herrliche Speisen und Getränke für sie bereit, und wunderschöne Frauen warten auf sie.'
'Ah - die Paradiesesmädchen, nicht wahr?'
'Ja, ja, die großäugigen Paradiesesmädchen, die Huris, deren Schweiß wie Moschus riecht und deren Fleisch so zart ist, daß das Mark ihrer Knochen hindurchschimmert. So beschreiben sie ihnen die Emire.'
'Das klingt aber ganz so, als ob die nicht nur zum Anschauen gedacht wären, mit anderen Worten: als ob die Aufgabe der Paradiesesmädchen nicht nur darin bestünde, den Augen der Seligen Freude zu bereiten.'
'O nein, sondern sie sollen ihnen auch die Freuden der Liebe schenken.'
'Soso, die Freuden der Liebe. Eine für jeden allein, oder ...?'
'Nein, nein: jeder kann so viele haben, wie er will!'
'Und so oft er will?'
'Selbstverständlich.'
'Oder so oft er kann?'
'Naja, ein Seliger im Paradies kann natürlich immer.'
'Na toll! Und das eine ganze Ewigkeit lang?'
'Klar!'
'Ja, das ist natürlich sehr verlockend, zumal wenn man im irdischen Leben nichts davon darf ... oder kann!'
'Nicht wahr?'
'Sag einmal, Ruschdi, glauben die denn diesen ganzen Schwachsinn? Nehmen sie solche Verheißungen wirklich für bare Münze?'
'Ja! Ja! Ja! Man sollte es nicht für möglich halten, aber sie glauben jedes Wort, das ihnen ihre Emire erzählen. Ihre Naivität ist grenzenlos! Nicht nur in dieser Hinsicht. Weißt du, ich kenne da nämlich einen, und der schwärmt jedesmal, wenn ich mit ihm zum Reden komme, begeistert davon, wie einmal bei einer Versammlung der Moslembruderschaft plötzlich auf wundersame Weise der Name Allah im Himmel erschien.'
'Was?!'
'Ja, ja, aber in Wirklichkeit was das das Werk einer Laserapparatur, die die Moslembruderschaft von einer amerikanischen Werbefirma bezogen hatte.'
'Ah! Und hast du ihn darüber nicht gleich aufgeklärt?'
'Oh, davor hab' ich mich schwer gehütet. Weißt du, mit diesen Burschen ist keine normale Diskussion möglich, die sind vollkommen indoktriniert - totale Gehirnwäsche! Bei denen gibt's kein selbständiges Denken mehr, keinen Funken Kritik.'
Darauf sagte ich gar nichts mehr, sondern schüttelte nur den Kopf und mußte an unseren eigenen Religionsunterricht als Schüler zurückdenken, in dem wir gelernt hatten: Zweifeln ist Sünde - wißt ihr noch?“
Und Johnny und die Henne kichern leise und nicken zustimmend mit dem Kopf.
„Inzwischen begann Ruschdi wieder mit nunmehr auffallend leiser Stimme: 'Der, den ich da kenne und von dem ich das alles so genau weiß, ist nämlich ein alter Jugendfreund von mir. Meine Mutter hat ihn immer wie ihren eigenen Sohn in unserem Haus empfangen. Später hab' ich ihn dann ganz aus den Augen verloren und erst vor wenigen Monaten durch Zufall wieder getroffen. Aber er war wie ausgewechselt. Ich habe ihn gar nicht wiedererkannt. Weißt du, was er zu mir gesagt hat? Er würde nicht zögern, auch seinen eigenen Vater zu töten, sollte dieser gegen die Religion verstoßen.'
'Nein! Seinen eigenen Vater! Wie konnte es denn nur so weit kommen - ich meine: was hat deinen Freund zu den Fundamentalisten getrieben?'
'Das weiß ich zufällig. Er was ein begnadeter Leichtathlet. Er war aber immer schon sehr gläubig und ließ sich daher einen Bart wachsen ...'
'Nanu? Er ließ sich daher einen Bart wachsen? Einen Bart hab' ich ja selber, aber ...'
'Naja, weißt du, im Islam ist ein Bart meistens das Zeichen für religiöse Gesinnung und gilt neuerdings als Sympathiekundgebung für den Fundamentalismus. Und deswegen wurde mein Jugendfreund von seinem Sportklub diskriminiert. Das hat ihn natürlich total verbittert. Zu allem Überfluß wurde er auch noch arbeitslos, und beides zusammen, das hat ihn natürlich in die Arme der Fundamentalisten getrieben.'
'Die Arbeitslosigkeit?'
'Ja. Weißt du, in unserem Land herrscht eine riesige Arbeitslosigkeit,
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