Geliebte Myriam, geliebte Lydia
konnte, war der Brave auch schon auf und davon.
Es versteht sich wohl von selbst, daß wir auch auf der Fähre ziemliches Aufsehen erregten, und natürlich war auch gleich der Touristenpolizist zur Stelle, derselbe, den ich schon am Morgen gesehen hatte. Die Aufgabe, mit ihm zu reden, übernahm aber Achmad, und Ruschdi ließ sich seufzend und bereits mit einigen Anzeichen leichter Erschöpfung in einen Sessel nieder. Ich setzte mich neben ihn und beobachtete eine Zeitlang die Vorgänge rund um uns. Als ich erkannte, daß alles ruhig und friedlich blieb, lehnte ich mich erleichtert zurück und atmete einmal tief durch. Dann wandte ich mich nach Ruschdi um und begann: 'Bei der Polizei? Sollte man nicht lieber zuerst den Verwundeten im Krankenhaus abliefern und dann mit dem Inspektor allein zur Polizei fahren?'
'Nein, nein, nein, nein!' antwortete Ruschdi mit Bestimmtheit und winkte ab. 'Wir müssen beide bei der Polizei abliefern, und die sollen den Verwundeten anschließend ins Krankenhaus bringen. Wer würde ansonsten für seine Bewachung sorgen? Das wäre ein absolut gefährliches Unterfangen!'
'Hm - das ist wahr!' sagte ich. 'Daran hatte ich nicht gedacht! Du meinst zweifellos, seine fundamentalistischen Mitbrüder könnten ansonsten versuchen, ihn aus dem Krankenhaus zu entführen?'
'Na klar! Du weißt ja inzwischen, wie die sind!'
'Hm ...' Und ich versuche mich zu erinnern, wie sie sind; und dabei fiel mir ein, was ich bei unserer eigenen Entführung beobachtet hatte und was am nächsten Abend Myriam erzählt hatte, nämlich, daß sie bei jeder Gelegenheit Koranverse psalmodieren, und zwar vorwiegend solche, die vom Sterben handeln - auch dann, wenn sie einer religiösen Vergewaltigung, oder wie man sowas nennt, beiwohnen. Daran mußte ich jetzt also zurückdenken und berichtete Ruschdi ausführlich davon und erwähnte dabei auch, wie sehr ich mich darüber gewundert habe und mich eigentlich immer noch wundere und daß ich ein solches Verhalten einfach nicht kapiere.
'Weißt du', sagte Ruschdi, 'diese Leute bilden eine Art Sekte. Bei denen gibt's überhaupt kein selbständiges Denken mehr. Es ist, wie wenn sie einer Gehirnwäsche unterzogen worden wären, und ich bin überzeugt, daß das tatsächlich der Fall ist.'
'Das heißt also, sie sind Fanatiker?' sagte ich.
'Sie sind absolute Fanatiker!' bestätigte er. 'Blindwütige Eiferer, die Allahs Worte wortwörtlich, so wie sie im Koran niedergelegt sind, mit unbeirrbarer Konsequenz befolgen. Und auf den Koran beschränkt sich auch ihr Horizont; sie kennen nichts anderes, und darum psalmodieren sie, wie man im Englischen sagt, den ganzen Tag lang Koransuren.'
'Das heißt, sie rezitieren sie in einer Art monotonem Singsang, ja?' Und ich versuchte diesen, so gut ich's konnte, nachzumachen, wie ich ihn eben erlebt hatte.
'Exakt, genauso! Übrigens ist das die einzige Gesangsform, die sie überhaupt zulassen! Jede andere Form von Musik ist für sie ein Frevel gegen die Religion. Sie haben nämlich eine Koransure gefunden, die Musik für Sünde erklärt.'
'Na sowas! Aber wieso psalmodieren sie mit Vorliebe ausgerechnet solche Koransuren, die vom Sterben handeln?'
'Weißt du, der Tod fasziniert sie. Der Tod der anderen und auch der eigene Tod.'
'Was, der eigene?'
'Ja, ja, die berüchtigten Selbstmordkommandos! Die haben überdies schon eine jahrhundertealte Tradition im Islam.'
'Also: man opfert sein eigenes Leben, nur, um dem verhaßten Gegner Schaden zuzufügen?'
'Exakt.'
'Aber das widerspricht doch völlig dem natürlichen Selbsterhaltungstrieb des Menschen! Wie ist denn eine solche Einstellung überhaupt zu erklären?'
'Sehr einfach: die verhaßten Gegner - das sind die Feinde der Religion, sprich: des Islams. Und der Kampf gegen diese - das ist der Heilige Krieg, auf arabisch: Dschihad. Und die gegen diese kämpfen, empfinden sich als Glaubenskämpfer. Und Glaubenskämpfer, die als Märtyrer in diesem Heiligen Krieg fallen, müssen nicht wie alle anderen Gläubigen bis zur Auferstehung und bis zum Jüngsten Gericht darauf warten, daß sich ihr ewiges Schicksal entscheidet, sondern gehen sogleich nach dem Tod ins Paradies ein. Und davon schwärmen ihnen ihre Anführer, die Emire, ständig vor.'
'Soso, ins Paradies zieht's die also. Aber warum so eilig? Hat das nicht Zeit, bis sie ihr Leben genossen haben? Ich meine, im Paradies ist man ohnehin lang genug, oder nicht?'
'Das stimmt und stimmt nicht. Dein gedanklicher Fehler liegt in dem Satz: bis sie
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