Geliebte Myriam, geliebte Lydia
Kilometer.'
Beim Einsteigen in unseren Bus fiel mir auf, daß Machmut, unser Chauffeur, offenbar ganz gut ausgeschlafen war; jedenfalls wirkte er recht aufgeräumt, scherzte mit unseren Polizisten, unseren Freunden und Helfern, zwinkerte mir fröhlich zu und lachte überhaupt übers ganze Gesicht. Nur unserem Salam - dem, so kam's mir vor, schenkte er keinerlei Beachtung.
Anschließend steuerten wir direkt das Stadtzentrum an, und Salam ließ sich nun überraschenderweise tatsächlich dazu herab, uns verschiedene Gebäude und Denkmäler zu erklären. Der nächste Besichtungspunkt war nun etwas ganz Wichtiges: das Ägyptische Museum, in dem wir, wenn man von den Pyramiden absieht, zum allerersten Mal mit der altägyptischen Kultur in Berührung kommen sollten; und wegen dieser hatten ja wohl die meisten diese Reise überhaupt gebucht. Nun, in diesem Museum kannte sich unser Freund offensichtlich deutlich besser aus als im Koptischen Museum, und wahrscheinlich kannte er sich auch in der altägyptischen Kultur besser aus als in der koptischen Kultur, oder vielleicht kannte er sich zwar auch in der koptischen Kultur nicht so schlecht aus, hatte aber Vorurteile gegen sie, weil sie ja eine christlich geprägte Kultur ist; und wir hatten heute ja schon einmal eine Äußerung von ihm gehört, die auf Vorurteile gegen die Kopten schließen lassen konnte. Also, wie gesagt, im Ägyptischen Museum führte er wesentlich besser - beinahe fachmännisch. 'Beinahe' deshalb, weil seine Führung trotz allem zwei schwerwiegende Mängel aufwies: erstens fehlte ihm offenbar jegliche historische Perspektive. Damit meine ich den Umstand, daß er die Begriffe 'Altes Reich', 'Mittleres Reich', 'Neues Reich' und so weiter zwar verwendete; das war aber fast unvermeidlich, denn die Sammlungen des Museums sind nach diesen Epochen geordnet. Aber er nannte nicht nur keine Jahreszahlen oder Jahrhunderte, sondern versäumte es auch, die Leute etwa auf das ungeheure Alter der Exponate aus dem Alten Reich oder auf die unvorstellbaren Zeiträume hinzuweisen, die allein zwischen den genannten Epochen oder etwa zwischen der Zeit des Alten Reiches und der Zeit der Griechen liegen. Und den zweiten Mangel kennen wir schon: sein fürchterliches Deutsch, seine schlechte oder auch einfach falsche Aussprache. Zum Beispiel sprach er das doch sehr häufig vorkommende Wort 'Statue' immer wie 'Statur' aus, so daß besonders am Anfang das Rätselraten groß war, wovon denn da eigentlich die Rede sei. Und ein besonders dicker Bock waren bestimmte Namen aus dem alten Ägypten: so sprach er immer wieder von den Göttern Aisis und Osairis, von der Kiops-Pyramide und anderem, aber den Vogel schoß er zweifellos mit der Stadt Siebs ab; so nannte er in einem fort die ägyptische Hauptstadt des Neuen Reiches. Und als Clemens, der ältere Bruder unseres kleinen Florian und ein ebenso vifes Bürschchen wie dieser, nur eben um einige Jährchen älter, den schüchternen Einwand vorbrachte, er habe in der Schule gelernt, daß die Hauptstadt des Neuen Reiches Theben heiße, beharrte Salam hartnäckig auf Siebs. Und weil Clemens daraufhin ein ganz unglückliches Gesicht machte und auch die anderen reichlich verwirrt dreinschauten, mischte ich mich trotz Salams offen zur Schau getragenem Unwillen ausnahmsweise ein und erklärte, Salam verwende die englischen Formen und die englische Aussprache der griechischen Namen altägyptischer Götter, Könige und Städte, die uns als Isis und Osiris, als Cheops und als Theben bekannt seien; im Falle von Theben - das konnte ich mir leider nicht verkneifen hinzuzufügen - komme noch fehlerhafte Aussprache des 'th' in der englischen Namensform 'Thebes' als 's' hinzu.
Aber ansonsten war Salams Führung durch das Ägyptische Museum, wie gesagt, halbwegs akzeptabel, und am akzeptabelsten bei dessen unbestreitbarem Höhepunkt, dem weltberühmten Grabschatz des Tut-ench-Amun (oder Tut-ankh-Amen, wie Salam wieder in der im angelsächsischen Sprachraum üblichen Namensform sagte). Hier kannte er sich offensichtlich ausgezeichnet aus, und so hielt er uns einleitend einen für ihn ganz und gar ungewöhnlich ausführlichen Vortrag über die höchst spannende und dramatische, ja, sensationelle Entdeckung des Tut-ench-Amun-Grabes im Tal der Könige bei Theben, das nicht nur eine unberührte Königsmumie enthalten habe, sondern vor allem eine unvorstellbare Fülle kostbarster Schätze und zugleich kulturhistorisch wertvollster Originale von
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