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Geliebte Myriam, geliebte Lydia

Geliebte Myriam, geliebte Lydia

Titel: Geliebte Myriam, geliebte Lydia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Plepelits
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bedeutet ja, daß es jetzt in jeder Nacht so zugehen wird, nicht? Außer ...
    'Wie lange dauert denn der Ramadan noch?' fragte ich. Die Antwort darauf war niederschmetternd: heuer noch bis zum 1. März - also noch zweieinhalb Wochen! Na, schöne Aussichten, was? Und dementsprechend lang wurden dann auch die Gesichter meiner Leute, als ich ihnen diese Frohbotschaft überbrachte. Aber wenigstens waren die Wetteraussichten für heute eindeutig besser, denn es regnete nach wie vor nicht mehr, und die Wolkendecke zeigte sogar da und dort Risse, durch die der blaue Himmel hindurchguckte, und das machte die Gesichter gleich wieder ein kleines bißchen kürzer, wenn ich so sagen darf. Mein eigenes Gesicht wurde noch zusätzlich kürzer, als mein Blick auf Lydia und Babsi fiel. Die hatten sich nämlich sichtlich meine Ratschläge zu Herzen genommen und waren heute ganz züchtig gekleidet.

    4. Teil

    Well roared, lion!
    (SHAKESPEARE)

    Um halb neun begann dann mit ganz unorientalischer Pünktlichkeit, wie mir vorkam, die Stadtrundfahrt. Salam war wenn möglich noch ungenießbarer als am Vortag und wirkte zusätzlich total unausgeschlafen; außerdem hatte er eine entsetzliche Fahne - keine Alkoholfahne, wohlgemerkt, sondern eine Nikotinfahne - und roch - was sag' ich: stank wie eine ganze Batterie von vollen Aschenbechern. Er muß die ganze Nacht hindurch eine Giftnudel nach der anderen inhaliert haben und stank jetzt abscheulich nach diesen.
    Naja, wenigstens war er heute deutlich gesprächiger als gestern beim sogenannten Transfer, und soweit er überhaupt zu verstehen war, referierte er ganz ordentlich über Geographie, Geschichte und Bedeutung Kairos. Die Stadtrundfahrt begann mit einer Fahrt auf der mir nun schon so wohlbekannten Straße mit den pyramidenförmig zugestutzten Bäumchen, und nun erfuhren wir, daß diese tatsächlich eine symbolische Bedeutung haben, denn die Straße heißt ganz offiziell Pyramidenstraße, weil sie ja zu den Pyramiden hinführt. Bald nach der Überquerung der beiden Nilarme und der Nilinsel bogen wir nach rechts, das heißt, in südlicher Richtung ab, und das bedeutete: stadtauswärts. Und kurz danach erreichten wir unseren ersten Besichtigungspunkt, nämlich Alt-Kairo, das älteste Stadtviertel von Kairo. Und das ist kein Witz: in Kairo liegt das älteste Stadtviertel tatsächlich nicht wie sonst überall im Zentrum, sondern am Rand der Stadt. Umgeben ist es von den massiven Mauern einer römischen Festung, und bewohnt ist es von Kopten; deshalb ist es auch unter dem Namen 'koptisches Viertel' bekannt.
    Das alles erklärte also Salam, so gut er halt konnte, noch im Bus. An dieser Stelle wurde er von einer Stimme aus dem Hintergrund unterbrochen, und zwar mit der Frage: 'Was, bitte, sind Kopten?' Daraufhin schaute er pikiert und sagte dann: 'Die Kopten - das sind die Christen.'
    'Christen?' wiederholte die Stimme aus dem Hintergrund ungläubig. 'Ich dachte, Ägypten sei mohammedanisch? Wozu dann dieses Tamtam mit dem Ramadan und dieser schreckliche Lärm in der Nacht?'
    Jetzt lief Salams Gesicht rot an, und mit deutlichem Unwillen in der Stimme sagte er: 'Ägypten ist islamisches Land. So sagen und nicht „mohammedanisch“! Leider gibt es auch einige Christen.'
    Und das war's. Ob die Stimme aus dem Hintergrund mit dieser Auskunft sehr zufrieden war, wüßte ich nicht zu sagen, aber sie kam ohnehin nicht mehr zu Wort, denn nun hieß es aussteigen zur ersten Besichtigung. Wir betraten die ehemalige römische Festung zwischen zwei unheimlich dicken Festungstürmen, marschierten durch eine hübsche Grünanlage mit Palmen und zuletzt über eine lange Treppe zur sogenannten Hängenden Kirche hinauf. Durch einen idyllischen Vorhof mit richtig gotisch wirkenden Spitzbogenarkaden ging's in das Kircheninnere. Dieses war so dunkel, daß man im ersten Moment gar nichts sehen konnte; erst nach und nach begann man die Einzelheiten zu erkennen: die Teppiche über dem Fußboden, die Kirchenbänke, die phantastische Ikonostase vor dem Altarraum, die ebenso phantastische Kanzel in der Art eines frühchristlichen Ambo, die garantiert aus der Römerzeit stammenden korinthischen Säulen mit ihrem von Spitzbogenarkaden überhöhten Architrav, und so weiter.
    Sobald man also, wie gesagt, die Einzelheiten erkennen konnte, strömten unsere Leute zielstrebig auf die Kirchenbänke zu, ließen sich in diesen nieder und wandten ihr Gesicht erwartungsvoll Salam, dem großen Führer, zu. Das sind sie nämlich so

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