Geliebte Myriam, geliebte Lydia
außerordentlichem Anschauungswert für die Erkenntnis des altägyptischen Alltagslebens; mehr als 1700 Einzelgegenstände seien es insgesamt gewesen, die man gefunden, teilweise restauriert und hierher gebracht habe. Und von diesen zeigte er uns also in der Folge die kostbarsten und interessantesten und schönsten, und während wir uns durch diese Massen von Gegenständen verschiedenster Art hindurcharbeiteten, die, obwohl aus ferner Vergangenheit stammend, trotzdem wie neu wirkten, so, als ob sie erst gestern fertiggestellt worden wären, kamen wir uns oder kam zumindest ich mir wie von einer Zeitmaschine unvermittelt in die ägyptische Vorzeit versetzt vor.
Nachdem uns dann besagte Zeitmaschine wieder in die Gegenwart des Jahres 1995 nach Christus zurückkatapultiert hatte, soll heißen, als die Führung vorbei war, gewährte uns Salam in seiner unsagbaren Güte exakt eine Stunde Mittagspause. Wieso in seiner unsagbaren Güte? Ganz einfach, weil eben Ramadan war und er daher sowieso nichts zu sich nehmen durfte. Er ließ es uns auch deutlich merken, daß er auf uns 'Ungläubige' entweder einen Mordsneid hatte oder uns abgrundtief verachtete, weil wir's nicht nötig fanden, uns an die Gebote des Propheten zu halten; er meinte nämlich mit entweder neidischem oder eben verächtlichem Unterton, wenn wir unbedingt was essen zu müssen glaubten, so würden wir in dem modernen Gebäude gleich gegenüber ein Imbißlokal finden, das vielleicht für Ungläubige offen habe. Und weg war er.
Na gut, so pilgerten wir halt geschlossen in das so freundlich empfohlene Gebäude hinüber. Man betrat es über eine sehr hübsche Terrasse mit Tischen und Stühlen, auf denen sich einige, von der Museumsbesichtigung erschöpft, sogleich niederließen, diejenigen nämlich, die noch Proviant von daheim mithatten; und das Wetter war ja zum Glück bereits durchaus einladend. Und hatte das Imbißlokal für Ungläubige geöffnet? Ja, Allah sei gedankt, es hatte geöffnet, es mußte kein Ungläubiger verhungern oder verdursten. Und was meinte der Verkäufer? Wir sollten mit unseren Speisen und Getränken lieber herinnen bleiben und nicht auf die Terrasse hinausgehen? Wegen dem Ramadan? Na schön, dann bleiben wir eben herinnen! Aber was ist mit denen, die schon auf der Terrasse sitzen und sich höchstwahrscheinlich bereits ihr mitgebrachtes Wurstbrot mit Genuß und Appetit zu Gemüte führen? Die sollte man vielleicht lieber hereinholen, nicht?
Und ich drehte mich um und sauste hinaus, um meinen Vorsatz in die Tat umzusetzen, kam aber nicht weit, denn da kamen sie mir auch schon entgegengewankt, kreischend und schimpfend, das eine ältere Ehepaar und drei meiner älteren Damen, und der ältere Herr schimpfte nicht nur wie ein Rohrspatz, sondern hielt sich mit der rechten Hand krampfhaft die linke Schulter. Ja, um Himmels willen, was war denn passiert? Es war gar nicht leicht, ein vernünftiges Wort aus ihnen herauszukriegen, aber nach geraumer Zeit wurde mir klar, was der Sinn ihres Kreischens und Schimpfens war: mit Steinen seien sie beworfen worden, und der Herr sei von einem Stein an der linken Schulter getroffen worden, und eine der Damen sei nur knapp verfehlt worden und habe jetzt natürlich einen ordentlichen Schock. Ich half als erstes dem Herrn, seine getroffene Schulter freizumachen, und untersuchte sie. Ich fand eine ordentliche Schwellung, die zusehends größer wurde und vor meinen Augen die interessantesten Farbtöne anzunehmen begann; aber schwerwiegendere Verletzungen schien er zum Glück keine davongetragen zu haben. Sobald sich die Aufregung ein wenig gelegt hatte und die Leutchen etwas ansprechbarer waren, erklärte ich ihnen, ich sei ohnehin gerade unterwegs gewesen, um sie von der Terrasse hereinzuholen, damit sie den fastenden Moslems kein Ärgernis geben; aber da sei es leider schon zu spät gewesen. Als sie das hörten, fingen sie, oder vielmehr: fing das Ehepaar erneut zu schimpfen an, warum ich ihnen denn das nicht gleich gesagt hätte, und anderes mehr. Ja, ja, so geht's einem Reiseleiter! Naja, andererseits nahmen mich die anderen, die, durch das Geschrei und Gekreische angelockt, inzwischen herbeigestürzt waren, in Schutz und verteidigten mich gegen diese ungerechtfertigten Angriffe, am heldenhaftesten übrigens die Lydia. Das war natürlich wieder Balsam für meine Seele. Und Balsam für meine Seele war's in gewisser Hinsicht auch, als sie anfingen, sich bei mir darüber zu beklagen, daß man Salam so schwer,
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