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Geliebte Myriam, geliebte Lydia

Geliebte Myriam, geliebte Lydia

Titel: Geliebte Myriam, geliebte Lydia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Plepelits
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Wichtigkeit und symbolische Bedeutung des islamischen Ornaments, aber das alles jetzt in extenso vor euch auszubreiten würde wohl zu weit führen, nicht? Der langen Rede kurzer Sinn: als wir eine gute halbe Stunde später in den Vorhof zurückkamen, erwartete uns dort Salam mit sooo einem Gesicht, blickte ostentativ auf seine Uhr und hielt uns vor, wie unpünktlich wir seien; und dabei bildeten sich doch die Europäer so viel auf ihre Pünktlichkeit ein und würfen umgekehrt den Orientalen vor, unpünktlich und unzuverlässig zu sein. Aber inzwischen waren offenbar auch meine Leute schon so weit, daß sie ihn und seine Vorhaltungen nicht weiter ernst nahmen, sondern nur friedlich herumstanden und die Schönheit des Hofes bewunderten. Und dann ertönte wieder die berühmte Stimme aus dem Hintergrund, und ein Herr machte mich darauf aufmerksam, daß ich in meinen hochinteressanten Ausführungen die Spitzbögen hier und im Kircheninnern nicht erwähnt hätte. Die Frage sei: sind die nun gotisch oder nicht? Daraufhin dankte ich ihm für seine Frage und gab zu, die Spitzbögen tatsächlich nicht erklärt zu haben, obwohl ich mir's eigentlich vorgenommen hätte. Nun, die Sache sei sehr einfach: die Spitzbögen gehörten natürlich der islamisch-arabischen Kunst an, denn die Araber hätten sie quasi erfunden, und das Abendland habe sie von den Arabern übernommen, und so seien sie mehr oder weniger charakteristisch für die Gotik geworden, obwohl es auch schon romanische Spitzbögen und umgekehrt gotische Rundbögen gebe. Nein, diese Spitzbögen hier seien natürlich nicht gotisch, sondern islamisch-arabisch.
    Nun gut, das Volk war zufrieden - mein lieber Freund Salam weniger. Während wir anschließend die lange Treppe hinunterstiegen und zum Koptischen Museum hinübergingen, überhäufte er mich mit Vorwürfen und drohte mir wieder mit den uns begleitenden Polizisten, und ich versuchte ihm klarzumachen, warum ich mich so und nicht anders verhalten müsse. Aber alles Bemühen meinerseits war ganz einfach für die Katz', und außerdem waren wir inzwischen ja schon vor dem Museumseingang angelangt. Also dachte ich mir, das Museum kenn' ich eh nicht, da blamier' ich mich nur; soll er doch selber die Führung machen! Und so hielt ich mich nun eben zurück, und Salam, unser großer Führer, führte durch das Museum. Und das sah dann so aus: er ging voran, und wir anderen zockelten ihm hintennach, und das war's dann eben. Ach ja, hie und da wies er mit großartiger Geste auf irgendwas hin und verriet uns, was das ist, zum Beispiel: 'Das sind koptische Textilien; das sind koptische Tischlerarbeiten; das sind koptische Bücher'. Letztere erregten übrigens mein ganz spezielles Interesse, aber ich hütete mich, den Mund aufzutun, und meine Leute waren offenbar von meinem ausführlichen Vortrag in der Kirche noch so befriedigt, daß sie überhaupt nicht rebellierten.
    Nach einem kleinen Rundgang durch die unglaublich engen Gassen des koptischen Wohnviertels verließen wir es wieder durch eines der antiken Festungstore, das - laut Führer - noch seine ursprünglichen Eisenbeschläge hat; und wenn ich eben sagte 'laut Führer', so meinte ich damit natürlich meinen gedruckten Reiseführer, den ich in der Hand hielt. Unser lebender oder, wenn ihr so wollt, ungedruckter Führer verlor nämlich über dieses kleine Detail, wie nicht anders zu erwarten, kein Wort. Während wir, an verschiedenen Souvenirständen vorbei, gemächlich wieder zu unserem gemeinsam mit dem Polizeiauto wartenden Bus zurückbummelten, erlebten wir alle einen kleinen Schock. Auf der anderen Seite der an der römischen Festungsmauer entlangführenden Straße führen nämlich die Gleise einer elektrischen Eisenbahn vorbei; in der Nähe ist auch ein Bahnhof. Und während wir also, wie gesagt, dort zu unserem Bus zurückbummelten, fuhr gerade ein Zug in Richtung Stadtzentrum aus dem Bahnhof aus. Und wie nun dieser Zug mit Passagieren regelrecht vollgestopft war und wie sogar außen auf den Trittbrettern dichte Menschentrauben hingen und besonders Mutige trotz der elektrische Oberleitung auf dem Dach kauerten - das war für uns alle ein ganz schöner Schock. Babsi erlaubte sich, Salam zu fragen, wo denn der Zug herkomme, und er ließ sich tatsächlich zu einer Antwort herab und sagte: 'Von Heluan.' Ob das sehr weit sei, stieß Babsi nach. Sie meinte wohl, wie lange die Armen diese Tortur aushalten müßten. 'Ach wo!' erwiderte Salam ungerührt. 'Nur ungefähr dreißig

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