Geliebte Myriam, geliebte Lydia
freundlicherweise nicht und rückten uns ebenfalls auf den Pelz und drängten uns ebenfalls ab. Naja, und um es kurz zu machen, wir wurden im hohen Bogen hinausgeschmissen, und ehe wir's uns versahen, fanden wir uns auf der Straße wieder, und das Eingangstor wurde hinter uns zugeknallt und abgesperrt, und die wütenden Stimmen dahinter entfernten sich wieder und wurden leiser und erstarben zuletzt; und wir, Myriams Papa, Lydia und ich, wir standen vollkommen verdattert da und starrten uns nur fassungslos an und wußten nicht, wie uns geschah. Und auch, als nach einiger Zeit die Hirnmaschinerie wieder langsam zu funktionieren begann - bei mir jedenfalls -, da änderte sich an unserer starren und bewegungslosen Haltung nichts, und ich begann schon zu befürchten, die liebe Oma könnte doch die Gorgo Medusa sein und uns alle drei mit ihrem giftigen Blick in Stein verwandelt haben; und es wurde mir allmählich bewußt, daß wir auf eventuelle Betrachter tatsächlich wie drei Marmorstatuen, oder sagen wir: wie eine realistische Figurengruppe aus Marmor, gewirkt haben müssen.
Nun, zum Glück gab's in der engen Gasse keine Betrachter, jedenfalls merkte ich nichts davon. Und die einzige Ausnahme ... Aber schön der Reihe nach! Also: wir standen immer noch total betäubt und wie gelähmt vor dem Eingangstor und starrten uns gegenseitig fassungslos an. Wieviel Zeit seit unserem Rausschmiß vergangen war - ich könnte es unmöglich sagen; es können fünf Minuten, es kann aber auch eine halbe Stunde gewesen sein. Hinter dem Tor war's schon längst wieder still, unheimlich still geworden. Aber plötzlich hörte man Schritte - hinterm Tor, wohlgemerkt - unheimliche, merkwürdig unregelmäßige Schritte, und sie widerhallten gespenstisch in dem kahlen Gang hinterm Eingangstor - jawohl, gespenstisch, obwohl's doch hellichter Tag war und obwohl's die ägyptische Wintersonne so gut mit Allahs Verehrern meinte, und ich bekam richtig die Gänsehaut. Und meine Gänsehaut verstärkte sich noch, wie dann, ganz langsam, ein Schlüssel umgedreht wurde und das Tor, ebenfalls ganz langsam, mit leisem Quietschen aufging. Wie gebannt starrte ich es an und wartete mit Herzklopfen, was oder vielmehr wer hinter ihm in Sicht kommen würde. Und wer war's? Na, Gott sei Dank, alles halb so schlimm: unser lieber Freund Gamal war's. Und er tat auch überhaupt nicht wild oder so, sondern hatte exakt dasselbe komische Grinsen aufgesetzt wie schon vor diesen entsetzlichen Szenen und erweckte tatsächlich den Eindruck, als ob die völlig spurlos an ihm vorübergegangen wären, als ob er die überhaupt nicht registriert oder zur Kenntnis genommen hätte. Er stand also in der halbgeöffneten Tür und grinste uns an, das heißt, er schaute die längste Zeit grinsend vom einen zum anderen und gab dabei keinen Ton von sich. Schließlich blieb sein Blick an Myriams Papa hängen, und dann trat er einen Schritt vor, pflanzte sich vor ihm auf und begann auf dessen linke Hand zu deuten, die ihm schlaff herunterhing. Und jetzt erst fiel mir auf, was der Herr Girgis immer noch in seiner linken Hand hielt: Gamals zernudelte Fotografie mit Myriam und ihrem süßen, blonden, blauäugigen Baby. Aha, jetzt war alles klar: die wollte er natürlich wieder zurück, um Myriam auch weiterhin bewundern und verehren zu können.
Der Herr Girgis brauchte ein bisserl länger, bis er kapierte, was der von ihm wollte, aber als es dann so weit war, überließ er ihm wortlos das Gewünschte. Gamal freute sich sichtlich wie ein Schneekönig: sein Gesicht verzog sich zu einer unbeschreiblichen Grimasse, und er führte die wiedergewonnene Fotografie an seine Lippen und küßte sie andächtig. Aber er hütete sich, erneut so ein lautes, hemmungsloses Gelächter wie zuletzt anzustimmen; ganz offensichtlich war er klug genug, sich nicht durch ein solches gegenüber seinen lieben Hausgenossen zu verraten. Und er schien durchaus auch Gefühle der Dankbarkeit zu kennen, denn sobald er sich zur Genüge gefreut und die Fotografie zur Genüge geküßt hatte, begann er plötzlich den Herrn Girgis anzugrinsen und deutete gleichzeitig immer wieder auf die Fotografie in seiner anderen Hand und tat auf einmal überhaupt furchtbar geheimnisvoll.
Und dann setzte er sich unvermittelt in Bewegung und begann sich langsam vom Haustor zu entfernen und deutete ihm in einem fort mit äußerst gewichtiger Miene, aber ohne einen Laut von sich zu geben, er solle ihm folgen. Und der Herr Girgis (Myriams Vater)
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