Geliebte Myriam, geliebte Lydia
auf mich nun wirklich absolut gespenstisch wirkt: während Gamal nach wie vor seine Fotografie krampfhaft in der linken Hand hält und Myriam bewundert und verehrt, bückt er sich plötzlich, ergreift mit der rechten Hand einen Stein und schleudert ihn weit von sich, zum Glück in die Richtung, wo keiner steht.
Und ohne zu verschnaufen, bückt er sich aufs neue, ergreift einen zweiten Stein und schleudert diesen ebenfalls weit von sich, so weit er kann. Und schon wieder bückt er sich und schleudert einen Stein, und so geht das jetzt ohne Unterbrechung, ich weiß nicht, ob minutenlang oder stundenlang, und das bedeutet für ihn eine ganz schöne körperliche Leistung, denn er strengt sich dabei ordentlich an, schnauft wie ein Dampfroß und kommt sauber ins Schwitzen, und außerdem wendet er die ganze Zeit seinen Blick nicht ab von der zernudelten Fotografie in seiner linken Hand.
Ist das eine besonders originelle Art von Gymnastik, oder spinnt er ganz einfach?
Ich komme nicht dahinter und werfe daher, sobald ich mich fürs erste satt gesehen habe, einen Seitenblick auf Lydia. Lydia bemerkt zwar meinen Blick und erwidert ihn, aber durch ihre Miene werde ich auch nicht klüger; sie scheint sich auf Gamals merkwürdige Aktivitäten genauso wenig einen Reim machen zu können.
Also werfe ich meinen Blick weiter auf den Herrn Girgis - und erstarre nun tatsächlich zur Salzsäule. Denn Myriams Papa beobachtet natürlich ebenfalls Gamal und starrt ihn unverwandt an, ohne sich durch meinen Blick ablenken zu lassen, und macht ein Gesicht ... na, echt zum Fürchten: ohne jede Farbe und starr vor Schreck oder Entsetzen.
Und während ich ihn noch total erschrocken anblicke, merke ich, wie zuerst seine Hände und dann seine Lippen zu zittern anfangen, und dann beginnt er unvermittelt zu schreien und schreit so, wie er in jenem Narrenhaus weder das erste noch das zweite Mal geschrien hat und wie er vermutlich sein Lebtag noch nicht geschrien hat, und es klingt gespenstischer als alles, was Gamal heute schon von sich gegeben hat, und ich bin jetzt selber total außer mir vor Entsetzen, und meine liebe Lydia stößt sogar einen unterdrückten Entsetzensschrei aus und muß sich an meiner Schulter festhalten; und dabei merke ich, wie sie zittert.
Und Gamal? Wie reagiert der auf seinen Ausbruch? Gar nicht! Er beachtet ihn überhaupt nicht und läßt sich in seiner merkwürdigen Gymnastik nicht im geringsten stören.
Dieses schaurige Geschrei des Herrn Girgis ist anfangs entweder unartikuliert oder arabisch; das ist für mich nicht zu unterscheiden. Dann verstummt er plötzlich wieder; und jetzt beendet Gamal ebenso plötzlich seine gymnastischen Übungen, grinst ihm voll ins Gesicht und bricht dann in exakt das gleiche schauerliche Gelächter aus, mit dem er uns schon einmal kalte Schauer über den Rücken gejagt hat.
Myriams Vater scheint es genauso wenig auszuhalten wie Lydia oder ich, denn er wartet nicht, bis sich Gamal mit seinem Lachen ausgetobt hat, sondern nimmt sein eigenes schauriges Geschrei mit unverminderter Heftigkeit wieder auf, und jetzt erfolgt die gräßliche Darbietung zweistimmig, und ich weiß nicht, was von beiden grauenerregender ist: Gamals Lachen oder das Schreien von Myriams Vater.
Und dann hört dieser wieder abrupt mit dem Schreien auf, bricht auf dem steinigen Wüstenboden zusammen oder läßt sich auf ihn fallen - was weiß ich - und beginnt hemmungslos zu schluchzen, während Gamal lustig weiterlacht. Erst als dieser sein Lachen urplötzlich beendet, zwingt sich der Herr Girgis mit sichtlicher Willensanstrengung dazu, auch seinerseits ruhig zu werden. Er erhebt sich unsagbar langsam und mühsam, ohne sich von mir oder von Lydia helfen zu lassen, wendet sich sodann mir zu und redet mich nach einigem Zögern plötzlich auf griechisch an; er spricht immer noch äußerst aufgeregt, und ich habe größte Mühe, seine Worte zu verstehen, aber ihren Sinn verstehe ich nur allzu gut.
Was er meint, ist folgendes: Meine Myriam ist nicht davongelaufen, schon gar nicht mit einem anderen Mann. O nein! Sie haben sie hierher gebracht, mitsamt ihrem Baby, und haben beide gesteinigt! Das wollte uns der arme Narr hier mitteilen und nichts anderes.
Ich höre seine Worte und glaube mich verhört zu haben und bin wie gelähmt und bringe nichts heraus und schaue ihn nur, starr vor Entsetzen, an und hoffe, daß er wieder was sagt und daß daraus hervorgeht, daß ich mich verhört habe.
Aber er sagt nichts mehr, hat
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