Geliebte Myriam, geliebte Lydia
glotzen ihn, aber auch mich und ganz besonders die Lydia, mit großen Augen an. Nicht einmal einen Stuhl bieten sie ihm an, geschweige denn ärztliche Hilfe oder auch nur ein Glas Wasser. Und sobald er entweder mit seinen Klagen fertig ist oder aber vor Erschöpfung einfach nicht mehr kann, da sitzen sie die längste Zeit bloß wie die Ölgötzen da und rühren sich nicht und glotzen uns nur an - wie gesagt, hauptsächlich die Lydia. Der mutmaßliche Oberinspektor bricht schließlich als erster das Schweigen und richtet das Wort nicht an Myriams Papa und auch nicht an Lydia, obwohl gerade er sie mit seinen Blicken regelrecht verschlungen hat, sondern an mich. Naturgemäß kann ich als Antwort nur hilflos mit der Schulter zucken und ihm deuten, daß ich nichts verstehe, und Myriams Papa meldet sich gleich wieder zu Wort und erklärt ihm höchstwahrscheinlich, daß ich kein Arabisch spräche und er schon mit ihm selber vorlieb nehmen müsse. Das ist aber offenbar ein Fehler, denn daraufhin wird der Herr Oberinspektor schlagartig äußerst ungemütlich und beginnt ihn wie einen Delinquenten anzuschnauzen und ihn richtiggehend zur Schnecke zu machen, so daß er, nämlich Myriams Papa, schon den Tränen oder gar dem Nervenzusammenbruch nahe ist. Aber er reißt sich zusammen und läßt sich nicht unterkriegen, schluckt ein paarmal kräftig und sagt danach dem Herrn Oberinspektor die Meinung - oder so kommt's mir wenigstens vor. Und der ist von einer solchen offenbar völlig ungewohnten Zivilcourage tatsächlich so beeindruckt, daß er ihm zwar einen ausgesprochen häßlichen Blick zuwirft, aber andererseits endlich aktiv wird und sozusagen das Mühlrad der Justitia in Bewegung setzt. Er stellt ihm in schroffem Ton mehrere Fragen, beauftragt einen seiner Untergebenen in ähnlich schroffem Ton, ein Protokoll oder sowas anzulegen und spricht im selben Ton seine vier restlichen Untergebenen an, die sich daraufhin ihr Amtskappel und dazu ihre Amtsmiene aufsetzen und im nächsten Moment verschwunden sind.
Die Sache mit dem Protokoll erweist sich als höchst mühsame und zeitraubende Angelegenheit und ist daher für Lydia und mich ausgesprochen langweilig. Dazu kommt, daß wir, gerade nach diesem aufregenden Dauerlauf, die Hitze und schlechte und abgestandene Luft in dem Wachlokal zunehmend als höchst unangenehm empfinden. Außerdem stinkt's immer abscheulicher; der Herr Oberinspektor besitzt nämlich die Unverfrorenheit, pausenlos wie ein Schlot zu rauchen und uns mit seinem grauslichen Qualm die ganze Atemluft zu verpesten, ohne wenigstens ein Fenster aufzumachen. Das einzige Vergnügen - falls man es als solches bezeichnen kann -, das uns bleibt, ist es, seinen Untergebenen beim Anlegen des Protokolls zu beobachten und zuzuschauen, wie er die arabischen Buchstaben aufs Papier malt und dabei von rechts nach links schreibt. Myriams Papa hat inzwischen wenigstens auf einem Stuhl Platz nehmen dürfen, und es scheint ihm überhaupt schon deutlich besser zu gehen; sein Keuchen und Röcheln hat aufgehört, und seine Wunden schauen zwar noch um nichts schöner aus - beileibe nicht! -, aber sie bluten zumindest nicht mehr. Was sich hingegen noch nicht gelegt hat, nicht einmal ansatzweise, das ist seine Erregung, seine Bestürzung, sein offenkundiger Schock. Er ist noch immer total außer sich, und ihm gehen immer wieder die Nerven durch, so daß er dann jedesmal unbeherrscht und völlig kopflos herumzuschreien anfängt und es mehrmals hinnehmen muß, vom Herrn Oberinspektor energisch gerüffelt zu werden.
Ja, und dann verändert sich auf einmal schlagartig die Szenerie. Die vier Ordnungshüter, die sich vorhin nach dem rüden Anschiß durch ihren Chef, oder was immer es war, so plötzlich aus dem Staub gemacht haben, sind, wie's aussieht, doch nicht gefeuert worden und haben auch nicht einfach Feierabend gemacht, sondern kehren jetzt zurück, und man hört sie schon von weitem. Sie machen nämlich ein Höllenspektakel, aber, wie sich gleich herausstellt, nicht sie allein; sie bringen nämlich noch eine Reihe von Gästen in Handschellen mit, und die liefern auch den Hauptanteil an besagtem Höllenspektakel. Und mir bleibt beinahe das Herz stehen, wie ich erkenne, um wen es sich da handelt, und Lydia fällt fast in Ohnmacht: bei den Gästen in Handschellen handelt es sich nämlich um unsere lieben Freunde von vorhin, die Bagage, in die unsere arme, bedauernswerte Myriam einheiraten mußte - mußte? Genug, sie hat eben in sie
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