Geliebte Myriam, geliebte Lydia
hätte sie mitsamt ihrem Baby umgebracht, um die Ehre meiner Familie zu retten.'
'Die Ehre Ihrer Familie? Wieso ...'
'Ja, weil Myriam angeblich Ehebruch begangen habe ...'
'Ehebruch? Myriam? Ausgeschlossen!'
'Ja, und davon habe sie eben ihr blondes und blauäugiges Baby ...'
'Ach, das ...'
'Ja, dieses könne sie unmöglich von ihrem Ehemann haben ...'
'Hm ...' Mehr weiß ich darauf auch nicht zu erwidern.
'Und darum hätte ich sie umgebracht und ihr Baby noch dazu.'
Ich kann ihn als Erwiderung nur entsetzt anstarren, und da fährt er, sichtlich erschrocken, fort: 'Glauben Sie denn diese Anschuldigungen auch?'
'O nein ... nein!' stammle ich. 'Natürlich nicht!'
'Na hoffentlich!' murmelt er kaum hörbar, fixiert mich mit nachdenklichem oder vielleicht auch prüfendem Blick und sagt dann mit verhältnismäßig fester Stimme: 'Nach allem, was wir heute erlebt haben, haben diese Halunken ... na, sagen wir, zumindest ein schlechtes Gewissen in bezug auf Myriam. Und darum versuchen sie jetzt den Spieß umzudrehen und mich als den Schuldigen hinzustellen, um ihren eigenen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Aber wenn Sie mir einen Liebesdienst erweisen möchten ...' Er unterbricht sich und wirft mir einen fragenden und zugleich flehenden Blick zu.
'Aber selbstverständlich! Na klar! Ja, unbedingt!' stammle ich als Antwort.
'... dann werde ich diese Halunken noch der gerechten Strafe zuführen, das kann ich Ihnen versichern.'
'Und welchen Liebesdienst ...', beginne ich.
'Ach ja ... Haben Sie was zum Schreiben?'
'O ja!' rufe ich, hole aus meiner Tasche einen Schreibblock und einen Kugelschreiber heraus und überreiche ihm beides, das heißt, versuche ihm beides zu überreichen, merke zu meiner Bestürzung, daß das so nicht geht, drücke ihm sodann eben nur den Kugelschreiber in die Hand und halte ihm den Schreibblock darunter, und er beginnt auf das erste Blatt mit sichtlicher Mühe irgendwas Arabisches zu kritzeln. Sobald er damit fertig ist, liest er alles noch einmal aufmerksam durch, bringt irgendwo noch eine kurze Ergänzung an und überreicht mir schließlich den Kuli wieder mit den Worten: 'Das sind Name und Adresse eines befreundeten Rechtsanwalts. Wenn Sie dem diesen Zettel bringen könnten, nach Möglichkeit persönlich ...'
'Aber sehr gern, Herr Girgis! Selbstverständlich! Sie können sich darauf verlassen!'
'... dann wird mir der bestimmt helfen, mich da herauszubringen und diese Halunken der gerechten Strafe zuzuführen.'
'Ja, bestimmt! Auf jeden Fall! ... Nur ...'
Ich wollte noch sagen: Nur kann ich das leider nicht lesen. Schreiben Sie mir den Namen und die Adresse auch noch in lateinischen oder meinetwegen griechischen Buchstaben darunter? - aber just in diesem Augenblick wird neben uns eine rüde Kasernenhofstimme laut, so daß wir beide erschrocken zusammenfahren, Myriams Papa noch heftiger als ich, und da stehen zwei unserer wackeren Ordnungs- und Gesetzeshüter neben uns, machen ein sehr bedrohliches Gesicht und packen ihn unnötig grob am Ellbogen. Und er kann mir nur mehr 'Addio!' zurufen - so sagt man nämlich auch im Griechischen - und 'Alles Gute!', und dann muß er sich auch schon von den zwei Grobianen fortschleppen lassen, aller Wahrscheinlichkeit nach hinter schwedische Gardinen, und ich bin so perplex und so fassungslos, daß ich ihm nicht einmal meinerseits einen Abschiedsgruß, geschweige denn irgendwelche guten Wünsche nachrufen kann. Nur nachschauen kann ich ihm, und ich schaue ihm auch noch nach, nachdem er hinter einer Tür verschwunden ist, und bringe meinen Mund nicht mehr zu und denke ... Aber ich weiß beim besten Willen nicht mehr, was ich damals dachte; vielleicht dachte ich auch überhaupt nichts, vielleicht war mein Hirn einfach leer, ausgebrannt, tot ... Ich weiß es nicht mehr. Ich weiß nur noch, daß ich plötzlich weiche, zarte Finger an meiner Hand spürte und daß mich diese aus meinem Trancezustand, oder wie ich ihn nennen soll, rissen. Ich drehte mich um - na klar, es war natürlich Lydia, die sich schüchtern und verschreckt angeschlichen hatte und von mir nicht nur wissen wollte, wohin sie soeben Myriams Papa verschleppt hatten, sondern auch, was ich vorher alles mit ihm geredet hatte. Ich kam aber nicht gleich dazu, ihr diese Fragen zu beantworten, denn zuerst war ich noch so konsterniert, daß ich überhaupt kein Wort herausbrachte, und dann gab's wieder einmal was zu beobachten, nämlich wie die Bagage oder, in der Terminologie von Myriams Papa,
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