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Geliebte Myriam, geliebte Lydia

Geliebte Myriam, geliebte Lydia

Titel: Geliebte Myriam, geliebte Lydia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Plepelits
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verdenken, denn wir waren alle drei in denkbar gedrückter Stimmung und hatten wieder auf dem ganzen Rückweg kaum ein Wort gewechselt. Also verabschiedeten wir uns, und als er fragte, ob wir uns wiedersehen würden, gab ich ich zur Antwort, nein, in absehbarer Zeit nicht, denn morgen vormittag gehe unser Flugzeug. Sodann wünschten wir noch ihm und seinem Vater alles Gute für die nächste Zukunft, und mit solchen und ähnlichen fürchterlich banalen Sprüchen nahmen wir endgültig von ihm Abschied.

    6. Teil

    Doch mit des Geschickes Mächten
    ist kein ew'ger Bund zu flechten
    (SCHILLER)

    Zu Fuß wanderten wir, Lydia und ich, anschließend ins Hotel zurück. Das tat uns zwar irgendwie gut, nicht nur körperlich, sondern durchaus auch seelisch, aber unsere Stimmung wurde dadurch um nichts weniger gedrückt, und wir wurden dadurch um nichts weniger schweigsam. Das änderte sich auch nicht während dem Abendessen, auf das wir uns, im Hotel angekommen, sofort stürzten. Danach gingen wir unverzüglich zu Bett. Und jetzt erst, wie wir in unseren Betten lagen, jeder in seinem eigenen, und mit der Zeit feststellen mußten, daß wir beide nicht schlafen konnten und beiden der Sinn auch nicht nach irgendwelchen anderen Aktivitäten stand, da erst begann sich beiden die Zunge zu lösen, und uns, denen das Herz schon die ganze Zeit so voll gewesen war, daß es hätte zerspringen wollen, ging endlich der Mund über. Es begann damit, daß mir plötzlich bewußt wurde, daß Lydia still vor sich hin weinte und offenbar schon längere Zeit still vor sich hin geweint hatte. Da machte ich Licht, stieg in ihr Bett hinüber, drückte ihren Kopf an meine Schulter und begann ihr tröstend über die Haare zu streicheln und mich zugleich ein bißchen zu wundern, weshalb sie sich denn das traurige Schicksal unserer Myriam gar so zu Herzen nahm; wenn, dann müßte doch eigentlich eher ich es mir so zu Herzen nehmen. Schließlich stand ich ihr doch viel näher als Lydia, oder nicht? Das heißt, natürlich nahm ich es mir in Wirklichkeit genauso zu Herzen, nur merkt man das halt bekanntlich einem Mann nicht so deutlich an wie einer Frau, nicht wahr? Als, offenbar als Folge meines Streichelns, ihr Weinen an Heftigkeit nur noch zunahm, flüsterte ich mehrere Male: 'Aber Schatzilein, liebes, warum tust du denn so weinen?' Und schließlich erwiderte sie im gleichen Ton: 'Wie sollte ich denn da nicht weinen? Es ist ja alles so traurig!'
    'Freilich ist alles so traurig!' sagte ich. 'So furchtbar traurig! Die arme Myriam!'
    'Nicht wahr? Was die mitgemacht haben muß!'
    'Ja, unvorstellbar!'
    'Und noch dazu zusammen mit ihrem Kind! Für sie als Mutter muß das ja ein doppeltes und dreifaches Martyrium bedeutet haben!'
    'Ja, das glaub' ich! Zusehen müssen, wie das eigene Kind ... Und das im 20. Jahrhundert!'
    '... nach Christus!'
    'Ja, man könnte glauben, wir leben noch im biblischen Zeitalter.'
    'Na wirklich!' Und in verändertem Ton, ganz so, als ob sie in der Kirche die Lesung aus der Heiligen Schrift halten würde, begann sie zu deklamieren: 'Da erhoben sie ein lautes Geschrei, stürmten auf ihn los, trieben ihn zur Stadt hinaus und steinigten ihn.' Sie hielt inne und bedachte mich mit einem merkwürdigen Blick, und ich sagte verwundert: 'Was ist das? Es klingt ja gerade so, als ob's aus der Bibel wäre.' Doch ohne auf meine Frage einzugehen, fuhr sie im selben Ton fort: 'So steinigten sie Stephanus. Er aber betete und rief: O Herr, nimm meinen Geist auf! Dann kniete er nieder und schrie laut: Herr, rechne ihnen das nicht als Sünde an! Und nach diesen Worten starb er.'
    Darauf erwiderte ich gar nichts mehr, und es ging, wie man so schön sagt, ein Engel durchs Zimmer. Dabei fiel mir auf, daß ihr Weinen fast aufgehört hatte und in ein gelegentliches leises Schluchzen übergegangen war. Nachdem sie sich ausgiebig geschneuzt und die Augen gerieben hatte, begann sie wieder in ihrem normalen Ton: 'Dabei hatte es dieser Stephanus noch leichter als unsere Myriam, oder sagen wir: hatte ein weit weniger schweres Schicksal, denn er mußte nicht gleichzeitig mitansehen, wie sein eigenes Kind gesteinigt wird!'
    'Ja!' murmelte ich nachdenklich und sagte sodann kopfschüttelnd: 'So ein süßes Baby! Wie konnten die nur ...'
    'Diese Unmenschen!'
    'Sie müssen nicht nur unmenschlich, sie müssen blind sein! Haben sie denn nicht gesehen, was unsere Myriam für eine Schönheit gewesen ist? Kein Wunder, daß sie so ein süßes Baby hatte!'
    '... und was für

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