Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geliebte Myriam, geliebte Lydia

Geliebte Myriam, geliebte Lydia

Titel: Geliebte Myriam, geliebte Lydia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Plepelits
Vom Netzwerk:
'diese Halunken' abzogen, und das ging nämlich wieder nicht ohne ein erneutes Höllenspektakel ab; und ich glaube, es ist ganz gut, daß wir ihre Bemerkungen nicht verstehen konnten, denn sie schauten dabei vor allem uns an und zeigten sogar mit den nackten Zeigefingern auf uns, und die Gesichter, die sie dabei schnitten ... Naja, lassen wir das! Sie zogen ja ohnehin ab, und das war dann auch das letzte, was wir von ihnen gesehen haben.
    Jetzt sahen wir uns also ganz allein der Riege der übriggebliebenen Ordnungs- und Gesetzeshüter gegenüber und kamen uns auf einmal furchtbar überflüssig vor. Um mir nicht ganz so überflüssig vorzukommen, zwang ich mich, verbindlich zu lächeln und zu sagen: 'Does any of you speak English?', aber leider war der ganze Erfolg meines schüchternen Versuches nur ein erneutes arabisches Gebrüll des Herrn Oberinspektors, und dazu streckte er seinen rechten Arm und den dazugehörigen Zeigefinger aus, offenbar, um uns was Schönes zu zeigen. Ja, und was er uns auf diese Weise zeigen wollte, war nichts anderes die Tür, durch die wir vor mindestens einer Stunde hinter Myriams Papa hereingestürmt waren. Nun, das war eigentlich deutlich genug, und so sagte ich mit der gebührenden Ehrfurcht 'Bye-bye', ergriff Lydias Hand und verließ mit ihr ganz, ganz schnell diese Stätte der Gerechtigkeit und Humanität. Wir torkelten erst noch ein Stück in die Richtung, aus der wir gekommen waren - jawohl, ich glaube, wir torkelten wirklich, so benommen waren wir alle beide -, sahen uns dann plötzlich jenem Narrenhaus gegenüber, dessen Hof und dessen Bewohner wir heute schon so gut kennengelernt hatten, und begannen vor Schreck zu rennen. Wir rannten bis zu einer Stelle, wo wir uns schon relativ sicher fühlten und wo keine Leute zu sehen waren. Dort erst machten wir halt, um zu verschnaufen und uns ein wenig von den ausgestandenen Schrecknissen zu erholen, und umarmten uns zwar nicht, preßten uns aber eng aneinander, und Lydia legte wortlos ihren Kopf auf meine Schulter; und nach einigen Minuten merkte ich, wie mir dieselbe Schulter ganz naß wurde. Und dann fiel mir auf, daß Lydias Körper von leisem Schluchzen geschüttelt wurde.
    Diese Trauerszene, oder wie ich sie nennen soll, kam zu einem etwas abrupten Ende, als in unmittelbarer Nähe unterdrücktes Gelächter und mehrere schrille Pfiffe laut wurden. Da erkannten wir, daß wir leider dem orientalischen Sittenkodex zuwiderhandelten und offenbar sowas wie einen Miniskandal erregt hatten, und rannten, ohne uns nach den Hütern von Sitte und Moral umzublicken, schleunigst weiter. Wir schlugen genau den Weg ein, den wir am Morgen mit Myriams Papa hergekommen waren, und als wir jetzt wieder an dem schönen Park vorbeikamen, da gingen wir ein Stück hinein in der Absicht, uns auf einem Bankerl niederzulassen, die Trauerszene fortzusetzen und gleichzeitig wieder zu verschnaufen. Aber wir fanden kein einziges freies Bankerl, und überhaupt war der Park so vollgestopft mit Menschen, daß eine Trauerszene sowieso undenkbar gewesen wäre. Also eilten wir unverzüglich wieder aus dem Park hinaus und weiter in Richtung Bahnhof. Dort angelangt, nahmen wir erst einmal bei einem der zahllosen Essensstände einen kleinen Imbiß ein - immerhin war's schon halb drei, und wir hatten seit dem frühen Frühstück im Hotel keinen Bissen mehr zu uns genommen - und schauten dann, wann der nächste Zug ging. Die Fahrpläne und Anzeigetafeln konnten wir zwar nicht entziffern, aber das machte nichts; es handelt sich ja um einen Kopfbahnhof, und da besteht überhaupt keine Gefahr, daß man sich plötzlich in Kapstadt oder Casablanca wiederfindet. Und übrigens stand bereits ein Zug, noch halbleer, wie es sich herausstellte, am Bahnsteig und wartete auf weitere Fahrgäste. Wir stiegen also ein, und nach etwa einer Viertelstunde machte es einen Ruck, und der Zug fuhr los, obwohl er noch nicht annähernd so voll war wie in der Früh bei der Herfahrt.
    Im Gegensatz zur Herfahrt schenkten wir jetzt der Landschaft nicht die geringste Aufmerksamkeit und sprachen übrigens, abgesehen vom Allernotwendigsten, auch kaum ein Wort miteinander, sondern waren beide völlig in Gedanken versunken und damit beschäftigt, diese entsetzlichen Erlebnisse des heutigen Tages im Geist zu ordnen, zu begreifen und zu verarbeiten - falls dies überhaupt möglich ist. Erst beim Aussteigen in Kairo merkte ich, daß wir unter die Schwarzfahrer gegangen waren, aber da glücklicherweise keine

Weitere Kostenlose Bücher