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Geliebte Myriam, geliebte Lydia

Geliebte Myriam, geliebte Lydia

Titel: Geliebte Myriam, geliebte Lydia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Plepelits
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Wollte sie mich vielleicht beraten oder davor beschützen, eventuell übervorteilt zu werden? Oder war sie gar schon ein bißchen verliebt, egal, ob in Lydia oder in mich, und suchte darum unbewußt unsere Nähe? Jedenfalls stand fest: hätte uns unsere Myriam damals nicht begleitet, wäre ihr dieses traurige Schicksal erspart geblieben. Und mir? Was wäre mir erspart geblieben? Aber weiß der Mensch immer gleich, was ihm erspart bleibt, wenn er dieses oder jenes unterläßt?
    Nachdem ich lang genug über diese verschiedenen Fragen nachgegrübelt hatte und dabei selber ziemlich schläfrig geworden war, raffte ich mich wieder auf, um Lydias Frage endlich zu beantworten, so gut ich's eben konnte. Und dabei wurde mir auf einmal bewußt, daß sie ja schon längst aufgehört hatte, mir über die Haare zu streicheln; das hatte mir nämlich äußerst wohl getan, und ich vermißte es jetzt plötzlich sehr. Und als nächstes entdeckte ich den Grund, warum sie damit aufgehört hatte: sie war nämlich inzwischen selig eingeschlummert. Na, unter diesen Umständen blieb mir natürlich nichts anderes übrig, als das Licht auszuknipsen, in mein eigenes Bett zu übersiedeln und ihr umgehend ins Reich der Träume nachzufolgen.
    Am nächsten Morgen ging unser Rückflug nach Österreich. Bevor wir das Hotel verließen, riefen wir noch schnell beim Freund und Rechtsanwalt von Myriams Papa an, aber der hatte zu diesem Zeitpunkt, wie nicht anders zu erwarten, noch nichts unternehmen können. Daheim angekommen, machten wir's uns zur heiligen Pflicht, mindestens einmal täglich entweder in seiner Kanzlei oder in seiner Wohnung anzurufen. Seine Antworten klangen von Tag zu Tag optimistischer, und bereits - oder, wenn ihr wollt, erst - am 29. Februar kam die erlösende Nachricht: Myriams Papa ist entlassen, ist auf freiem Fuß! Gleichzeitig ist gegen Myriams Ehemann und die gesamte erwachsene männliche Bewohnerschaft von dessen Haus in Heluan mit einziger Ausnahme von dessen geistig behindertem Bruder die gerichtliche Klage wegen zweifachen Mordes eingebracht worden.
    Ja, so stehen zur Zeit die Aktien. Der Prozeß läuft, und das Urteil ist angeblich vielleicht schon in den nächsten Tagen zu erwarten. Naja, für Lydia und mich kann ja nicht der leiseste Zweifel bestehen, wie es lauten wird. Bedauerlich finden wir einzig und allein den Umstand, daß die liebe Oma, diese Furie, unter der unsere unglückliche Myriam höchstwahrscheinlich am allermeisten zu leiden hatte, nicht vorm Richter steht. Aber verhandelt wird eben nicht das Leid und die Qual, die sie unserer Myriam zugefügt hat, und wohl auch nicht die Anstiftung zur Tat, deren sie sich zweifellos schuldig gemacht hat, sondern nur die Tat als solche. Ihr seht also, die sogenannte irdische Gerechtigkeit ist doch nicht vollkommen. Andererseits ... wäre sie auch vollkommen - unsere liebe Myriam könnte sie doch nicht wieder lebendig machen!“

    Nachspiel

    The rest is silence
    (SHAKESPEARE)

    Und damit verstummt Giggerle. Er ist mit seiner Geschichte offensichtlich zu Ende. Seine Zuhörer verharren weiterhin in betroffenem Schweigen, allem Anschein nach unter dem Eindruck des soeben Gehörten; vielleicht wollen sie aber auch nur die mild wärmenden Strahlen der Abendsonne genießen; oder vielleicht lauschen sie einfach dem hundertstimmigen Gezwitscher der Vöglein und hoffen, daß diese ihnen erfreulichere oder romantischere Geschichten zu erzählen haben.
    Während sie noch so in tiefem Schweigen zusammensitzen, unterbricht quasi aus heiterem Himmel ein schrilles Läuten die andächtige Stille. Es ist weder das Läuten des Telefons noch auch das Läuten der Glocken des St. Pöltner Doms, sondern ganz einfach das Läuten der Hausglocke, und Giggerle springt auch sofort auf und eilt mit einer hastig gemurmelten Entschuldigung oder Erklärung - so genau ist das nicht zu unterscheiden, geschweige denn zu verstehen - ins Haus hinein und kommt einige Minuten später nicht nur mit freudestrahlendem Lächeln, sondern auch mit einer jungen Dame im Arm zurück - nun, 'jung' ist relativ; auf den zweiten Blick fällt den Betrachtern auf, daß besagte Dame sehr wahrscheinlich um einiges jünger aussieht, als sie in Wirklichkeit ist. Sie hat auffallend kurze, brünette Haare, überaus freundliche braune Augen, einen sehr schön geschnittenen Mund und lustige Sommersprossen auf den Wangen; sie ist sehr schlank und nennt allem Anschein nach eine äußerst reizvolle Figur ihr eigen, die überdies durch

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