Geliebte Myriam, geliebte Lydia
sondern war obendrein im höchsten Maße unangebracht. Ja, und dann begann ich mich über meine schreckliche Kleinkariertheit und meine unangebrachte Eifersucht maßlos zu ärgern, und obendrein begann ich mir selber die heftigsten Vorwürfe zu machen, daß ich's damals überhaupt so weit hatte kommen lassen - ich meine: daß ich nicht die Hände von Myriam gelassen hatte. Hätte ich damals die Hände von der Myriam gelassen, sagte ich mir, so wäre sie heute nicht nur noch am Leben, sondern vielleicht der glücklichste Mensch auf Erden!
'Schatzilein?' hörte ich plötzlich Lydia flüstern. 'Was machst du denn für ein Gesicht? Bist du böse?'
'Ja!' erwiderte ich in reichlich unwirschem Ton. 'Ich bin böse! Und zwar auf mich!'
'Auf dich?' flüsterte sie, und es klang sehr erleichtert.
'Auf mich, jawohl! Auf mich selber! Hätte ich nicht die Hände von unserer armen Myriam lassen können?'
'Wenn sie aber deine Hände damals ... gebraucht hat?'
'Hat sie sie gebraucht?'
'Ich bin heute überzeugt davon. Sie hat deine Hände, deinen Trost, deine Liebe einfach gebraucht. Deine Liebe ganz besonders. Nach Liebe muß sie - nach allem, was sie uns erzählt hat - damals entsetzlich gehungert haben.'
'Meinst du?'
'Bestimmt!'
'Naja, vielleicht hast du recht. Aber ... wieso konnte sie sich nicht mit deiner Liebe begnügen? Wieso mußte ich ...'
'Das können wir nur vermuten. In erster Linie wahrscheinlich einfach deshalb, weil du der Mann bist. Ich sagte ja schon, daß sie am Anfang mir gegenüber schreckliche Hemmungen hatte und vermutlich die Liebe zu einer anderen Frau für entsetzlich sündhaft hielt; so hatte sie's wahrscheinlich in ihrer Jugend gelernt. Die koptische Kirche ist in dieser Hinsicht sicher kaum besser als die katholische.'
'Na, das glaub' ich auch nicht.'
'Und außerdem hast du ihr ganz schön den Hof gemacht! Das kannst du nicht ableugnen.'
'Na bitte, man wird doch als Mann einer hübschen und charmanten Frau noch den Hof machen dürfen! Das heißt ja noch lang nicht, daß ...'
'Nein, das heißt es natürlich nicht. Aber weiß das ein unerfahrenes junges Mädchen?'
'Naja, drum mach' ich mir ja solche Vorwürfe! Ich hätte ihr von Anfang an nicht den Hof machen dürfen, und ich hätte ihrer von mir geweckten ... Zuneigung nicht nachgeben dürfen! Ich bin schuld! Ich bin schuld an Myriams traurigem Schicksal!'
Ich war zuletzt immer heftiger und emotionaler geworden, und offensichtlich glaubte jetzt Lydia mich trösten zu müssen, denn sie begann mir wieder über die Haare zu streicheln und sagte in beschwichtigendem Ton: 'Aber Schatzilein, liebes, quäl dich doch nicht mit solchen Selbstvorwürfen! Erstens machen die unsere Myriam nicht wieder lebendig, und ihr Baby auch nicht, und zweitens ist es einfach nicht wahr, daß du schuld bist. Schuld ist das Schicksal - ich hab's schon einmal gesagt!'
'Nein, nein, nein, nein! Ich bin schuld! Sie hat doch zweifellos nur deshalb so überstürzt geheiratet, weil sie gemerkt hat, daß sie schwanger ist - nicht?'
'Ja, vermutlich. Ihr Entschluß, ihren Verehrer zu heiraten, war bestimmt etwas überstürzt, das muß man zugeben.'
'Was heißt: etwas überstürzt? Total überstürzt war er und vollkommen unüberlegt. Hätte sie sonst ausgerechnet in dieses Irrenhaus eingeheiratet? Ganz offensichtlich war in der Geschwindigkeit kein anderer greifbar, dem sie ihr Kind hätte unterjubeln können.'
'Unterjubeln?'
'Na sicher! Erinnerst du dich nicht, wie sie uns selber erzählt hat, wie dreckig es in Ägypten unehelichen Müttern geht? Da erschien ihr das Unterjubeln vermutlich noch als die akzeptablere Lösung. Und garantiert hat sie gehofft oder gar damit gerechnet, daß es nicht mein Kind sein wird, sondern das des Oberterroristen, der sie vergewaltigt hat, und daß es daher halbwegs orientalisch aussehen wird. Schließlich war er vor mir dran, nicht? Mit dessen brutalem Überfall auf sie hat ja alles angefangen.'
'Hm - alles nicht. Ich würde sagen, mit unserer Entführung hat alles angefangen.'
'Dann kann man gleich sagen: mit meinem Papyruskauf hat alles angefangen.'
'Sehr richtig! Und warum hat uns unsere Myriam damals begleitet? Denn hätte sie uns nicht begleitet ...'
Lydia verstummte mitten in ihrem Satz und schaute mich nachdenklich an. Ja, warum hatte uns unsere Myriam an jenem verhängnisvollen Abend in den Antiquitätenladen begleitet? Ich wußte nicht recht, was ich als Antwort sagen sollte. War's einfach ihre angeborene Liebenswürdigkeit?
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