Geliebte Myriam, geliebte Lydia
Es hat sich in unserer damaligen nicht ganz alltäglichen Situation eben einfach so ergeben, und ich muß sagen, es hat beiden sehr geholfen, mit diesen außergewöhnlichen Belastungen fertig zu werden ... Das soll nicht heißen, daß ich in Myriam nicht verliebt gewesen wäre. Es war bestimmt keine rein körperliche Beziehung ...'
'Ah', fiel ich ein, 'jetzt wird mir einiges klar!'
'Ja? Was denn?'
'Na, ich hab' mich schon einigermaßen über die Heftigkeit deiner Sorge und dann deiner Trauer um Myriam gewundert und hab' mir gedacht: Wie einer, der in sie verliebt gewesen ist! Wie ich, der ich in sie verliebt gewesen bin! Und jetzt sehe ich, daß mein Eindruck absolut richtig war.'
'Ja, ja. Und jetzt muß also ich dich fragen, ob du mir verzeihen kannst!'
'Soso. Und jetzt muß also ich dich fragen: Verzeihen? Was soll ich dir denn verzeihen, du Dummerl?' Und zugleich küßte ich sie wieder zärtlich. Aber dann fiel mir was ein, und ich sagte einigermaßen vorwurfsvoll: 'Apropos verzeihen - du hast vorhin steif und fest behauptet, mir wegen der Myriam nie böse gewesen zu sein. Das hab' ich aber in ganz anderer Erinnerung!'
'Du meinst, ich bin dir böse gewesen? Nein, war ich doch nie!'
'O doch! Und zwar am Morgen des letzten Tages vor unserer Flucht aus dem Verlies, nachdem in der Nacht vorher Myriam und ich ...' Ich verstummte, von Verlegenheit überwältigt.
'Ah, du meinst: nachdem ihr beide so laut geschrien habt, daß es mich vor Schreck aus dem Bett gehoben hat - falls man das überhaupt Bett nennen kann?'
'Na siehst du, das nimmst du mir ja heute noch krumm!'
'Oh - ich war furchtbar eifersüchtig, jawohl! Aber ich war nicht eifersüchtig, weil du mir untreu geworden bist - o nein, sondern weil Myriam ... weil ich ich damals dachte, Myriam gibt mir einen Korb; und ich war damals schon furchtbar verliebt in sie. Aber natürlich konnte ich dir das nicht zeigen, und drum hab' ich so getan, als ob ich über deine Untreue so entsetzt gewesen wäre. Naja, um ganz ehrlich zu sein, ich war über sie entsetzt genug, und ich hätte dich auch um keinen Preis verlieren wollen, aber eifersüchtig ... wirklich eifersüchtig war ich damals wegen Myriams vermeintlicher Untreue. Sehr kompliziert, gelt? Naja, ganz versteh' ich mein damaliges Verhalten ja selber nicht.'
Lydia verstummte, und jetzt ging wieder einmal ein Engel durchs Zimmer, denn ich mußte mir erst einmal das alles durch den Kopf gehen lassen und sozusagen verdauen. Schließlich sagte ich nachdenklich: 'Ist das wirklich wahr: du hättest mich damals um keinen Preis verlieren wollen?'
'Na klar! Zweifelst du daran?'
'Na, wenn du damals auf die Myriam so scharf warst!'
'Oh, das ist kein Widerspruch! Ich kann dir keine rationale oder meinetwegen wissenschaftlich abgesicherte Begründung geben. Ich kann nur sagen, daß meine Liebe zur Myriam in eine total andere Kategorie gehört als meine Liebe zu dir.'
'Und die Myriam? War die auf dich nicht so scharf wie du auf sie?'
'Naja, damals, in der Anfangsphase, offenbar eben noch nicht. Da warst entweder du noch im Weg - entschuldige, wenn ich das so ausdrücke -, oder sie hatte noch Hemmungen, weil das für sie ja noch neu und vermutlich schrecklich sündhaft war. Aber später - ich meine: nach unserer Flucht, im gemeinsamen Hotelzimmer und nachher bei ihr zu Hause in ihrem schmalen Bett - da hat sie das alles überwunden und war, wie du's zu nennen beliebst, mindestens ebenso scharf auf mich wie ich auf sie.'
'Soso', murmelte ich, 'sie war mindestens ebenso scharf auf dich wie du auf sie.' Und mir wurde mit einem Schlag bewußt, daß in mir ein richtiger Aufruhr tobte, ein Aufruhr mehrerer widerstreitender Gefühle. Jawohl, ich war schockiert! Ich war immer noch schockiert durch Lydias Eröffnung, daß sie und Myriam nicht nur aufeinander scharf gewesen sind, sondern sich sogar richtig lesbisch, also homosexuell betätigt haben. Von beiden war ich schockiert. Wie gesagt - an und für sich hab' ich ja keine Vorurteile diesbezüglich. Aber schockiert war ich halt trotzdem, da konnte ich mir nicht helfen. Aber gleichzeitig wurmte es mich fürchterlich, daß ich wegen sowas so schockiert reagierte. Und dann empfand ich, ob ihr's glaubt oder nicht, Eifersucht, und zwar doppelte Eifersucht, wegen Lydia genauso wie wegen Myriam. Und Eifersucht schmerzt! Aber das wißt ihr ja bestimmt selber zur Genüge. Sie schmerzt auch dann, wenn sie zu spät kommt, und in meinem Fall kam sie nicht nur um ein Jahr zu spät,
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