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Geliebte Myriam, geliebte Lydia

Geliebte Myriam, geliebte Lydia

Titel: Geliebte Myriam, geliebte Lydia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Plepelits
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Christus, nämlich dem Roman 'Anthia und Habrokomes' des Xenophon von Ephesos. Nun stimmt aber der Text meines Papyrus nicht genau mit dem bisher bekannten Text der entsprechenden Passage der mittelalterlichen Handschrift überein, sondern ist zum Teil wesentlich wortreicher, oder sagen wir: ausführlicher, und insofern eben neu. Dadurch wird, nebenbei bemerkt, eine alte Streitfrage der Fachgelehrten entschieden. Die Streitfrage lautet: ist der Text der mittelalterlichen Handschrift nur ein Auszug aus dem Original (im Sinne der Reader's-Digest-Kurzfassungen) oder das Original selbst? Auf die Ursachen dieser Meinungsverschiedenheit will ich hier nicht weiter eingehen. Aber es ist klar, daß sie durch diesen Papyrus hier entschieden wird, und es ist auch klar, in welchem Sinn - hab' ich recht?
    Aber nun zum Text selbst! Hier also die Übersetzung. Zuvor noch zur Erklärung: Habrokomes, der männliche Held der Geschichte, hat einen Räuber namens Hippothoos kennengelernt und sich mit ihm angefreundet. Mein Papyrus setzt mitten im Satz ein. Also:

    ... seine eigene Lebensgeschichte zu erzählen. Da seufzte er schwer und erzählte, ganz vorne beginnend, seine Lebensgeschichte; sie waren nämlich gerade allein.
    'Ich komme aus der Stadt Perinthos - sie liegt in der Nähe von Thrakien - und entstamme der dortigen High-Society. Du hast sicherlich schon gehört, o Habrokomes, wie berühmt Perinthos ist und wie wohlhabend die Leute dort sind. Dort bin ich glücklich und in behaglichem Wohlstand aufgewachsen. Doch als ich ein junger Mann war, habe ich mich zu meinem Unglück verliebt, und zwar in einen schönen Jüngling. Dieser Jüngling war genauso Perinthier wie ich selbst und hieß Hyperanthes. Wieso habe ich mich in ihn verliebt? wirst du fragen. Welches war der Beginn meiner Liebe zu einem Jüngling? Nun, das war so: ich liebte es, die Gymnasien meiner Vaterstadt aufzusuchen und in diesen den Jünglingen zuzuschauen, wie sie nackt Sport betrieben, und insbesondere, wie sie nackt miteinander rangen, und konnte mich an ihren sonnengebräunten, sportgestählten, durchtrainierten jungen Körpern nicht satt sehen. Ich liebte es auch, selbst in den Ring zu steigen und einen der Jünglinge zum Ringkampf herauszufordern. Wie genoß ich es dann, seinen glatten, gesalbten, wohlgeformten, muskulösen, geschmeidigen Körper überall berühren zu dürfen, und kein Moralapostel konnte etwas dagegen haben! Und als dann mein Auge zum ersten Mal auf den schönen Hyperanthes im Ringkampf mit einem anderen Jüngling fiel und ich hierauf auch selbst mit ihm rang, da traf mich unversehens der Liebespfeil des Eros, und ich entbrannte in heißer Liebe. Und danach versuchte ich mich zwar mit allen Mitteln zu beherrschen und meine Verliebtheit zu verbergen oder eher zu unterdrücken, aber der ganze Erfolg war, daß sich Nacht über mich senkte, schreckliche Nacht; denn das Feuer loderte lichterloh. Ich wurde krank an Leib und Seele; tagsüber verzehrte ich mich vor Sehnsucht, und nachts konnte ich keinen Schlaf finden und verzehrte mich nur noch mehr.
    Es ist ja ein Naturgesetz, daß auch die anderen Krankheiten und die körperlichen Wunden in der Nacht schlimmer sind und uns mehr zusetzen, während wir ruhen, und die Schmerzen verschärfen; denn wenn der Körper still liegt, hat die Wunde Muße genug, um weh zu tun. Die seelischen Wunden aber schmerzen noch viel mehr, wenn sich der Körper nicht bewegt. Denn tagsüber füllen sich Augen und Ohren mit vielerlei Eindrücken, die ihre Neugier befriedigen, und mildern dadurch den Stachel der Krankheit, indem sie die Seele davon abhalten, dem Leiden Beachtung zu schenken. Doch wenn der Körper von Ruhe gleichsam gefesselt ist, wird die Seele, allein gelassen, vom Sturm der Qualen hin- und hergeworfen. Denn nun erwacht all das, was bisher geschlummert hat: den Leidenden die Schmerzen, den Bekümmerten die Sorgen, den Bedrohten die Ängste, den Liebenden das Feuer.
    Schließlich hielt ich es nicht mehr aus, und als eines Tages von der ganzen Stadt in einem heiligen Hain ein großes Götterfest und anschließend an dieses eine die ganze Nacht dauernde fröhliche Feier begangen wurde und alle bereits vom Opferfleisch gesättigt und vom Wein beschwipst und von Musik und Tanz beschwingt waren, da trete ich an Hyperanthes - zu einem Zeitpunkt, wo er gerade allein ist - heran und flehe ihn an, Mitleid zu haben; ich sei in Gefahr, seinetwegen am Leiden einer edlen Seele zugrunde zu gehen. Und der Jüngling

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