Geliebte Myriam, geliebte Lydia
Nun, die Fahrt würde ja noch lang genug dauern, und außerdem war zur Zeit eh nichts zu sehen außer eine öde Kieswüste im Dauerregen. Und überdies war's eh kein reines Vergnügen, ihm zuzuhören - jedenfalls für uns Mannsbilder. Und während ich durch die beschlagenen Fenster auf die brettel-ebene Wüste hinausstarrte und über die mindestens 14 Millionen Einwohner Kairos nachsinnierte, fiel mir plötzlich wieder ein, daß auf mich ja eine wichtige Arbeit wartete, die ich nicht länger aufschieben durfte, nämlich das Einkassieren eines Trinkgeldpauschales, um all die bakschischheischenden Hände befriedigen zu können, die ich im Geiste schon gegen mich ausgestreckt sah, und ähnlichen Szenen wie vorhin aus dem Weg gehen zu können. Also langte ich nach vorne, schnappte mir das Mikrophon und begann meine Leute meinerseits mit wohlgesetzten Reden zu erfreuen. Ich erinnerte sie zunächst an die Szene mit den Gepäckträgern, die sie zweifellos sehr amüsiert habe, und dann an die Information in der letzten Aussendung des Katholischen Bildungswerkes St. Pölten, daß der Reiseleiter ein Trinkgeldpauschale einsammeln werde, und kündigte an, daß ich besagte Lustbarkeit gleich jetzt, wo Zeit und Gelegenheit dazu sei, durchführen werde.
Die Leute nickten befriedigt - oder belustigt? - und begannen ihre Geldtaschen herauszukramen, und ich hatte fast den Verdacht, daß manche von ihnen überzeugt waren, ich hätte die Szene von vorhin eigens inszeniert, um ihnen das Geld umso leichter entlocken zu können. Naja, das war mir jetzt auch egal. Ich legte das Mikrophon wieder zurück und schritt ans Werk. Und zu meinem Entzücken sprang Klein-Florian, unser Jüngster, auf, stürzte zu mir vor und fragte mich, ob er mir beim Einsammeln helfen dürfe. Na klar durfte er, und mit seiner geschickten und tatkräftigen Hilfe war diese Arbeit nicht nur bedeutend leichter zu bewerkstelligen, sondern verlief vor allem ungleich fröhlicher, und gleichzeitig hatte er seinen Spaß dabei. Und als ich ihm anschließend herzlich dankte, schien er sich darüber noch mehr zu freuen. Na, ein lieber Bub! dachte ich im stillen bei mir, während ich mich wieder hinsetzte.
Wie ich dann das nächste Mal aus dem Fenster schaute, erkannte ich, daß an die Stelle einer öden Kieswüste inzwischen ein modernes und durchaus gepflegt wirkendes Hochhausviertel getreten war. Das mußte also schon Kairo sein, und zwar, wenn mich nicht alles täuschte, das Viertel mit dem wohlklingenden griechischen Namen Heliopolis. Warum sagt denn der das nicht an? dachte ich mit wachsendem Unmut und warf dem Schönling Salam einen strafenden Blick zu. Da erkannte ich, daß der sich umgedreht hatte und seinerseits mich fixierte. Und im nächsten Moment erhob er sich auch schon würdevoll, trat an mich heran, beugte sich über mich und gab etwas von sich ...“
„Oje!“ lacht Johnny. „Ausgerechnet, während er über dich gebeugt war!“
Und Giggerle, nach einer Schrecksekunde, ebenfalls lachend: „Ach, so meinst du das! Nein, nein, wohlgedrechselte Worte gab er natürlich wieder von sich! Und wißt ihr, welche?“
„M-m, keine Ahnung. Vielleicht, daß dein Hosentürl offen ist?“
„Sehr witzig! Nein, nein, gar nichts Spaßiges. Sondern, stellt euch vor, daß es nur staatlich geprüften Fremdenführern wie ihm gesetzlich erlaubt sei, in Touristenbussen das Mikrophon zu benutzen!“
„Soso!“
„Sehr richtig: soso! Vor Überraschung brachte ich eine Zeitlang kein Wort heraus und glotzte ihn nur entgeistert an. Dann schluckte ich ein paarmal kräftig und fragte ihn, ob er nicht gehört habe, was ich gesagt hätte. Und als er keine Antwort gab, wies ich ihn darauf hin, daß ich meinen Leuten lediglich mitgeteilt habe, ich müsse jetzt was einsammeln; und davon werde er schließlich ja auch profitieren. O nein, widersprach er mir, ich hätte einen längeren Vortrag gehalten. Und überhaupt sei es mir gesetzlich gar nicht erlaubt, Durchsagen übers Mikrophon zu machen, auch keine kurzen. Das Mikrophon sei für ihn reserviert.
'Ja, aber ...' stammelte ich. Aber er ließ mich gar nicht ausreden, sondern erklärte mit deutlich drohendem Unterton, wenn ich's ihm nicht glaube, so könne er ja unsere beiden Begleitpolizisten ersuchen, mir das sozusagen amtlich zu bestätigen; und dabei zeigte er auf das vor uns fahrende Polizeiauto. Und damit war das Thema für ihn offensichtlich erledigt, denn er drehte sich um, machte es sich wieder auf dem Reiseleitersitz
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