Geliebte Nanny
mich wie Luft und nun fragt er mich nach Details meines Lebens (als Melek), die ich dummerweise selber gar nicht kenne.
Da kommt mir Gerald in den Sinn. Er wird bestimmt jeden Moment aus seinem Mittagsschlaf erwachen. Meine Rettung! Nichts wie raus hier, bevor David noch auf die Idee kommt, mich nach dem zweiten Vornamen des Gewürzhändlers vom Wochenbasar zu fragen, bei dem sich meine vermeintliche türkische Familie damals immer mit Koriander und Knoblauch eingedeckt hat. Spätestens dann wird er wohl merken, dass ich eine Hochstaplerin bin.
»Sie sehen eigentlich vielmehr wie eine europäische Türkin aus. Mit ihrem hellen Teint«, betont David ganz plötzlich, als ich mich schon umgedreht habe, um den Raum zu verlassen.
»Na ja, die dunklen Augen bezeugen zwar Ihre orientalische Abstammung, aber sonst... «, fügt er noch dazu.
Ich erstarre mitten in der Bewegung. Mist. Was soll ich jetzt sagen?
»Oh, äh...Danke, für das Kompliment«, gebe ich kopflos zurück. Ich drehe mich noch einmal zu ihm um, um seine Mimik zu entschlüsseln. Er hat die Stirn in Falten gezogen und wirkt irritiert, eine Spur von Verlegenheit macht sich in seinem Gesicht breit.
Okay, also kein Kompliment. Ich Idiotin. Wohl eher eine Feststellung. Zugegeben, eine ziemlich scharfsinnige. In Zukunft muss ich mich wirklich mehr in Acht nehmen, bevor ich ihm so lapidar irgendwelche fadenscheinigen Theorien auftische. Wie’s aussieht, habe ich es hier mit einem gehörigen Skeptiker zu tun.
Gerald sitzt wach in seinem Bettchen und wimmert vor sich hin. Ich nehme ihn heraus und wechsle zuerst seine überquellende Windel. Übrigens habe ich Klodia in der ganzen Zeit, seit ich hier arbeitete, kein einziges Mal Geralds Windeln wechseln sehen. Arndt dagegen hat es zumindest an dem Abend getan, als ich Klara aus dem Pool rettete und erschöpft und triefnass auf dem Sonnenstuhl lag, um mich zu erholen.
Ganz nebenbei gesagt, empfinde ich das Verhältnis zu Arndt entschieden angenehmer als das zu Klodia. Ich habe zwar selten mit Arndt zu tun, aber wenn wir uns zufällig begegnen, hält er jedes Mal einen kurzen Smalltalk mit mir, wobei er immer etwas unsicher wirkt und gelegentlich nach Wörtern ringt, die seiner Meinung nach, in einem Gespräch mit einer konservativen Muslimin angebracht zu sein scheinen. Meistens erkundigt er sich nach meinem Befinden und nach seinen Kindern. Dass Arndt in letzter Zeit ziemlich nett zu mir ist, ist Klodia blöderweise auch schon aufgefallen. Neuerdings schwänzelt sie ständig in unserer Nähe herum, sobald Arndt ein Wort mit mir wechselt. Ich meine, wozu diese Besorgnis? Mit ihren auferlegten Kleidervorschriften hat sie ja geschickt dafür gesorgt, dass ihr Ehemann die Finger von mir lässt. Oder befürchtet sie etwa, Arndt könnte sich in die »verschleierte« Melek verlieben, weil sie so nett ist? Wobei ich dieses Argument niemals ausschließen würde. Ich hege ja immer noch die Hoffnung, dass es auch Männer gibt, denen ein faszinierender Charakter wichtiger ist, als ein faszinierendes Dekolleté.
Für wen hält sie mich eigentlich? Traut sie mir tatsächlich zu, dass ich ein Verhältnis mit einem verheirateten Mann anfange, dessen Nachwuchs mir anvertraut ist? Welche Frau tut denn so was? Ach, Moment…mir kommt da gerade diese These über Davids Familienzugehörigkeit bei den von Degenhausens in den Sinn. Wie war das noch?
Herrje, dann ist es auch kein Wunder, dass Klodia so ein tiefes Misstrauen gegen mich hegt.
»Außerdem riechen Sie unheimlich gut und haben ausgesprochen schöne Beine«
In dieser Nacht ist es unerträglich heiß. An Schlaf ist nicht zu denken. Unruhig wälze ich mich hin und her und werfe die Daunenbettwäsche aus meinem Bett. Die Klimaanlage ist nicht eingeschaltet. Ich vertrage keine Zugluft – nur eine Nacht in einem klimatisierten Raum und ich bin mindestens eine Woche lang erkältet. Ich hasse Erkältungen. Ich erinnere mich noch an den ersten Urlaub, den ich mit Sören auf Formentera verbrachte. Sören hatte die ganze Nacht die Klimaanlage auf Hochtouren laufen lassen, sodass die Raumtemperatur so ungefähr um den Gefrierpunkt herrschte und ich mir nichts sehnlicher herbeiwünschte als einen Skianzug. Am nächsten Morgen war ich logischerweise todkrank. Ganz zu schweigen von der Heiserkeit, die mich befallen hatte. Die ganze Woche brachte ich keinen Ton heraus. Also, so heiser war ich seit dem Backstreet Boys Konzert im Juni’97 nicht mehr gewesen.
Im
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