Geliebte Nanny
fast schon einem kleinen Konzertsaal nahe kommt. Pauline setzt sich an den imposanten Flügel, der sich schwarz und glänzend in der Mitte des Saals präsentiert. Sie wirkt winzig davor.
»Ruhe please!«, zischt Mrs. Thompson in meine Richtung, als ich den Stuhl ein wenig näher an die beiden heranrücke.
Ihr Deutsch klingt wirklich grauenhaft.
Ich halte den Atem an und die Klavierstunde beginnt.
Schon bald wird mir eindeutig klar, weshalb sich Pauline so dagegen sträubt, abgesehen von der Geruchsbelästigung. Das ist ja wirklich stinklangweilig. Eine halbe Stunde sitze ich nun schon, kaum atmend, auf meinem Stuhl und lausche apathisch einem unergründlichen Geklimper. Meine Erwartung, meine Gehörsinne von ein paar netten Melodien verwöhnen zu lassen, wurde leider bitter enttäuscht, denn Pauline muss die ganze Zeit lediglich irgendwelche spannungslosen Akkorde spielen, und diese bis zum Erbrechen wiederholen. Ganz ehrlich, Spaß ist was anderes.
Außerdem finde ich, ist der alte Besen viel zu streng mit der Kleinen. Auf ihrer Runzelstirn haben sich dicke Schweißperlen gebildet. Ich könnte wetten, dass sie liebend gerne mit einem Rohrstock unterrichten würde, mit dem sie den Kindern auf die Finger schlagen kann, sobald sie die falschen Tasten drücken.
Nach eineinhalb Stunden erlöst Mrs. Thompson Pauline endlich von den freudlosen musikalischen Instruktionen.
»Du musst more üben, Girl!«, mahnt sie und packt ihre Notenzettel ein.
»Bis nexte Week.«
Sie watschelt aus dem Musikzimmer. Pauline sitzt erschöpft auf dem Klavierhocker. Sie sieht aus, als bräuchte sie dringend ein bisschen Aufmunterung.
»Du hast ganz toll gespielt. Wirklich!«
Sie schüttelt den Kopf.
»Das war voll blöd.« Sie setzt sich kerzengerade auf und grinst mich an. »Hör’ mal das hier!«
Mit flinken Fingern fängt sie an zu spielen. »Das Lied heißt Flohwalzer«, erklärt sie voller Stolz. Sie hat sichtlich viel Vergnügen dabei. Ich staune, wie sie in einem enormen Tempo ihre kleinen Finger über die Tasten bewegt und dabei diese lustige Melodie erklingen lässt.
»Das hat Onkel David mir beigebracht!«
»Oh, wirklich? Wie toll!«
»Nicht wahr?«, ertönt unversehens eine Stimme hinter meinem Rücken. Erschrocken wirble ich herum und schaue direkt in die wunderschönen Augen von Onkel David. Er sieht umwerfend aus in seinem dunkelgrauen Anzug, der vermutlich nicht viel billiger war als der Flügel.
»Entschuldigung. Ich wollte Sie nicht erschrecken, Melek.« Er bleibt ein gutes Stück weit auf Abstand.
»Schon zu spät«, erwidere ich, worauf er sofort eine schuldbewusste Miene aufsetzt. Er kommt mir ganz anders vor, als am Abend im e.Club , wo er mir quasi nicht von der Seite gewichen ist, bis eben zu der Aktion mit dem halbnackten Bar - Mann. Er hat also keinen Schimmer, dass die kühle Blondine, die ihn so unfein abserviert hat, dieselbe Frau ist, die jetzt vor ihm steht.
»Da du ja den Flohwalzer perfekt beherrschst, wird’s Zeit, dass ich dir was neues beibringe«, wendet David sich an seine Nichte.
»O ja, bitte Onkel David«, jubelt sie.
»Der alte Maulwurf kriegt das sowieso nicht so gut hin wie ich, stimmt’s?« Mit dieser Art von Selbstverherrlichung habe ich ja bereits beim Bettenbeziehen Bekanntschaft gemacht.
Pauline rückt ein Stück zur Seite. David setzt sich neben sie und spreizt seine Finger.
»Fertig?«
»Fertig!« Pauline grinst.
Schon legt David los. Mit grazilen Bewegungen schweben seine gepflegten Finger über die Tasten. Er spielt eine flotte, heitere Melodie. Ganz unbekannt ist mir das Stück nicht. Nur wirkt es jetzt, da David es spielt, völlig anders auf mich. Geradezu faszinierend. Und wie hingebungsvoll er sich zeigt. Er verschmilzt ja förmlich mit der Musik, die er spielt. Bei solchen berauschenden Klängen mutiere selbst ich zum Klassikfan. Da soll noch mal jemand behaupten Klassik sei öde.
»Mögen Sie Mozart?«, reißt David mich aus meinen schwärmerischen Gedanken.
» Mozart…? «
»Oh...ich dachte, dass Sie das Stück kennen.«
»Äh…« Mein ahnungsloses Mienenspiel trägt maßgeblich dazu bei, dass sich mein Gesamteindruck als ungeistige Angestellte, in seinen Augen endgültig erhärtet.
»Rondo alla turca!« Er sieht mich eindringlich an.
» Rondo ...was?«
Nee...sagt mir gar nichts.
»Na, der Türkische Marsch von Wolfgang Amadeus Mozart. Sie sahen vorhin so begeistert aus, da dachte ich, Sie würden die
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