Geliebte Nanny
wieder versäumt, meine frische Wäsche aus dem Wäschekeller abzuholen. Viel Kleiderauswahl bleibt mir heute nicht. Ein knöchellanger Rock aus bunter Baumwolle und eine rosa Tunika aus Satin mit blauen Absetzungen. Dazu ein Seidenkopftuch mit kitschigen Stickereien. Ich finde Cousine Birgüls Garderobe überhaupt nicht mehr schrecklich. Im Gegenteil, ich fühle mich wohl darin. Ehrlich gesagt, kann ich mir kaum noch vorstellen, meine eigenen Sachen zu tragen.
Als ich aus dem Bad zurückkehre, ist David gerade im Begriff, die Augen zu öffnen. Er reckt sich und gähnt. Schlaftrunken schaut er sich im Zimmer um.
»Äh, was…?«, stammelt er sobald er mich erkannt hat. Er wird aschfahl und starrt mich so erschrocken an, dass ich mir in null Komma nichts alle geläufigen Wiederbelebungsmaßnahmen vor mein geistiges Auge rufe. Nur für alle Fälle.
»Na, gut geschlafen?«, frage ich lässig, als wäre nichts Erwähnenswertes passiert, letzte Nacht. Vermutlich kann er sich sowieso an nichts mehr erinnern. Allenfalls bewerte ich diese Gute- Nacht-Kuss-Geschichte einfach über.
Als David sich gefasst hat, setzt er sich auf. Sein Oberkörper ist unbekleidet.
»Melek?« Seine Stimme klingt rau und müde. »Was machen Sie hier?« Er blickt sich noch einmal um. »Ähm…besser gesagt, was mache ich hier? Bei Ihnen?«
Ich trete vor den Spiegel und streiche mein Kopftuch glatt.
»Das würde ich auch gerne wissen.«
»Hab ich die ganze Nacht hier auf Ihrem Sofa verbracht?« Er fasst sich an den Hinterkopf und zuckt schmerzvoll zusammen.
»Ja, nachdem ich Sie aus meinem Bett geworfen habe!«
Er reibt sich über die rechte Schläfe und zieht die Brauen hoch. Anscheinend kann er es selbst nicht fassen.
»Ich hoffe ich habe Ihnen keine Unannehmlichkeiten gemacht, Melek.« Sein Gesichtsausdruck verrät mir, dass er sich an etwas erinnert. Nur an was? Weiß er, dass er mich küssen wollte und wenn ja, warum? Hat er sich etwa dabei vorgestellt, ich wäre eine heiße Blondine, die ich ja paradoxerweise auch bin. Oder dachte er, ich sei Giulia (grausiger Gedanke!).
» Unannehmlichkeiten…? Tja, solange Sie meinem Vater nichts erzählen!«, scherze ich.
Er lächelt erleichtert.
Doch dann werde ich ernst: »Scherz bei Seite, David. Wollten Sie zu mir oder haben Sie mein Zimmer mit dem Klo verwechselt?« Ich schaue ihm in die Augen. Sein Lächeln verflüchtigt sich augenblicklich. Wieder dieser undurchschaubare Gesichtsausdruck. Auch er sieht mir direkt in die Augen. Wer von uns beiden schafft es diesmal länger, dem anderen in die Augen zu schauen?
Mein Herz pocht wie wild. Ich versuche meinen Blick abzuwenden, aber es geht nicht. Es geht einfach nicht! Es ist, als zögen sich unsere Blicke magisch an. Ich vibriere innerlich. Dann endlich – es kommt mir wie eine Ewigkeit vor – wenden wir gleichzeitig unsere Köpfe ab. Erleichtert springe ich auf, ohne seine Antwort abzuwarten.
»Pauline wartet bestimmt schon auf mich. Sie macht heute eine Radtour mit ihrer Freundin Klara und deren Familie. Ich muss ihren Rucksack packen.« Mit diesen Worten rausche ich aus meiner Suite. Als ich mich noch einmal umdrehe, wirkt er irgendwie bedrückt.
***
In meinen Thriller vertieft, sitze ich im Pavillon, im Garten. Der intensive Duft von blühenden Rosen, lässt einen Hauch von Romantik aufkommen. Hier ist es wesentlich angenehmer, als auf dem Balkon.
Heute Vormittag habe ich Gerald im Krankenhaus besucht und erfahren, dass er morgen entlassen wird. Arndt und Klodia haben sich ebenfalls für morgen angekündigt.
Das Klimpern eines Schlüsselbundes lenkt mich ab und lässt mich neugierig aufschauen. Mit einer Hand schirme ich die Augen vor der blendenden Sonne ab. Ich erkenne David, der sich mir nähert.
»Hallo Melek«, ruft er und deutet ein Winken an.
»Verfolgen Sie mich etwa, David?« Ich lege das Buch unter meinen Liegestuhl.
»Was ich?« Er schüttelt den Kopf. »Ich habe aber das komische Gefühl, jemand anders verfolgt Sie, Melek.«
»Was mich? Wie kommen Sie denn darauf?« Verwunderung macht sich in mir breit.
»Ich beobachte schon seit Tagen einen Kerl mit Baseballkappe und ’nem lila Sportwagen, der ständig in der Nähe parkt und ziemlich verdächtig vor dem Haupttor herumschleicht.«
SÖREN!
Vor Schreck beiße ich mir auf die Unterlippe. Blitzartig überlege ich mir etwas, um Davids Verfolgungs - Theorie zu widerlegen.
»Woher wollen Sie wissen, dass er mich verfolgt und
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