Geliebte Suenderin
Seit wann machte er sich Sorgen um Marys Wohlbefinden? Sie beobachtete, wie Colonel Fletcher sich um Mary kümmerte, sie behandelte wie ein Stück zerbrechliches Porzellan. Er hob den Kopf, und als er Sabrinas interes-siertem und etwas feindseligen Blick begegnete, errötete er.
»Wo ist Eure Kutsche?« fragte er.
»Wir sind mit dem offenen Wagen gekommen. Dort drüben.«
Sabrina zeigte auf ihren Wagen und folgte Colonel Fletcher, der Mary mehr oder weniger dorthin trug.
Richard sprang in den Wagen und half ihm, Mary hineinzuhe-ben, obwohl er wohl keine Hilfe dazu gebraucht hätte.
»Ladies, Ihr hättet nie ohne richtige Begleitung hierherkommen dürfen«, sagte er wütend. »Auf diesen Jahrmärkten gibt es immer Schlägereien.«
Er wandte sich von Mary ab, die die Augen geschlossen hatte, und sagte vorwurfsvoll zu Sabrina: »Ich habe meinen Augen kaum getraut, als ich Euch mitten in dem Gerangel sah. Ihr vergeßt, Lady Sabrina, oder ist es Euch lieber, wenn ich Euch Charlie nenne, daß Eure Schwester und Euer jüngerer Bruder keine Eskapaden wie Ihr gewöhnt sind, und auch nicht an bestimmte Elemente, mit denen Ihr oft in Kontakt kommt. Ich dachte schon, ich bringe Euch nie lebendig aus dieser Horde Schläger.«
»Wir sind Euch sehr dankbar, Colonel Fletcher, aber ich für meinen Teil habe für einen Tag genug von Eurer Gesellschaft«, sagte Sabrina mit kühler Stimme. »Zuerst bezichtigt Ihr mich, ein Räuber zu sein, und jetzt beschuldigt Ihr mich, daß ich meinen Bruder und meine Schwester schlecht behandle. Ihr geht zu weit. Einen guten Tag, Sir.«
»Wenn Ihr unter meinem Kommando stündet, hätte ich Euch längst auspeitschen lassen«, sagte Colonel Fletcher und versuchte mit zusammengebissenen Zähnen, nicht die Fassung zu verlieren.
Sabrina lächelte böse. »Ich habe die Peitsche gekostet, Colonel, und sie hat mich nur in meinem Entschluß bestätigt, mich nicht von Ihresgleichen schikanieren zu lassen.«
Der Colonel war überrascht von dem Haß, der plötzlich aus ihren Augen funkelte und dann genauso schnell wieder verschwand, aber ihr verkniffener Mund verriet, wie heftig ihre Gefühle waren.
»Ich werde Euch jetzt nach Hause begleiten«, sagte der Colonel und sah hinunter auf Sabrinas gerunzelte Stirn unter dem breiten Sonnenhut, forderte sie heraus, ihm zu widersprechen.
Sie fügte sich resigniert in ihr Schicksal und stieg in den Wagen, wo die drei geduldig warteten, bis der Colonel sein Pferd geholt und seinen Männern Befehle erteilt hatte.
»Werdet Ihr alle diese Männer verhaften?« fragte Richard ehrfürchtig den Colonel, der neben dem Wagen ritt.
»Nein, das gäbe sicher einen Aufstand. Die werden genug zu leiden haben mit ihren blutig geschlagenen Köpfen, das genügt als Strafe.«
»Wie geht es dir?« fragte Sabrina leise und berührte Marys Arm. Die Kritik des Colonels hatte ihre Wirkung getan.
Mary lächelte erschöpft. »Gut, Rina. Tut mir leid, daß ich mich so albern benommen habe, aber all diese Menschen - ich konnte es einfach nicht mehr länger ertragen. Gott sei Dank war Colonel Fletcher da.« Sie schaute schüchtern zu ihm hoch, wie er in strammer Haltung neben ihnen herritt.
»Paß auf die Straße auf, Richard«, ermahnte Sabrina ihn streng, da er sich ständig ehrfürchtig nach der stolzen, militärischen Gestalt neben dem Wagen umsah, »sonst muß ich mir das noch mal überlegen, ob ich dir die Zügel überlasse.«
Richard drehte sich nach vorne und packte die Zügel fester.
»Ich pass’ doch auf, Rina«, beschwichtigte er sie. »Aber hast du gesehen, wie er uns einen Weg durch diese Menge gebahnt hat?«
Bei Richards Worten wandte Colonel Fletcher sich zu ihm.
»Wenn du erst einmal so groß bist wie ich, Richard, dann kannst du das auch.«
»Richard«, Sabrina kochte innerlich. Der Colonel schien mit ihrer Familie offensichtlich sehr vertraut, redete sie beim Vornamen an und spielte den Onkel für Richard.
»Sabrina wird mir das Schießen beibringen, jetzt, wo ich so gut sehen kann«, prahlte Richard. »Sie kann besser mit der Pistole umgehen als alle anderen.«
»Da bin ich mir sicher, Richard. Aber Ihr hattet ja auch reichlich Gelegenheit zu üben, nicht wahr, Lady Sabrina?« bemerkte Colonel Fletcher sarkastisch.
Richard wurde puterrot vor Scham, als er merkte, was er da ausgeplaudert hatte. Er warf Sabrina einen besorgten Blick zu, aber sie beruhigte den ängstlichen Jungen mit einem Lächeln.
Der Rest der Fahrt nach Verrick House verlief in
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