Geliebte Suenderin
folgten dem Colonel durch die Menge.
»Nichts. Absolut gar nichts«, erwiderte Sabrina, und ihr Mund verzog sich zu einem Lächeln. »Der Colonel soll ruhig kommen, er hat nichts in der Hand. Er hat keinen Beweis, und er wird auch keinen finden. Und sollte er diesem Verdacht nachgehen«, Sabrina lachte zufrieden, »wird ihn das Gelächter von hier vertreiben.«
»Du machst dir wirklich keine Sorgen, nicht wahr?« sagte Mary erstaunt über Sabrinas Gelassenheit.
»Ich habe schon gegen wesentlich gescheitere Männer als den Colonel gewonnen. Außerdem geht diese Scharade ihrem Ende zu, und dann brauchen wir uns keine Sorgen mehr um Colonel Fletcher zu machen«, sagte Sabrina verächtlich und versteckte ihre momentane Angst hinter spöttischem Lachen. »Komm jetzt, amüsieren wir uns. Ich lass’ mir von diesem Rotrock nicht den Tag verderben«, rief Sabrina fröhlich und zog Mary hinter sich her.
Sie drängten sich mit Richard im Schlepptau durch die Menge, vorbei an Gruppen mit Männern, die Ringer oder Hähne anfeu-erten, erhitzt von der Sonne und vom Alkohol, der in ungeheu-ren Mengen in die durstigen Kehlen floß. Sie blieben kurz bei der Pferdeversteigerung stehen, bogen aber ab, ehe sie zu dem Areal kamen, das für das Bull-baiting abgesteckt war. Die Grausam-keit und Brutalität dieses Sports, bei dem Hunde für einen Shilling auf einen angeketteten Bullen losgelassen wurden, hatte ihnen noch nie gefallen.
Danach machten sie sich langsam auf den Rückweg zu ihrem Wagen. Noch mehr Leute drängten sich inzwischen in den Gassen, schubsend und stoßend, lachend und streitend genossen sie das Fest. In der Nähe der Metzgerstände, wo zahllose Fliegen über den Fleischstücken schwirrten, brach plötzlich eine Schlä-
gerei aus.
Zwei junge Bauern, die zuviel Bier erwischt hatten, prügelten sich auf einer Fläche, die die brüllenden Zuschauer frei gemacht hatten. Ein junges Mädchen mit glänzenden Augen beobachtete sie aufgeregt, in einer Hand ein Bündel bunter Bänder, in der anderen ein Medaillon.
»Sie kämpfen um eine Frau«, hörte Sabrina jemanden sagen, während die beiden Männer sich grunzend im Dreck wälzten.
»Komm schon, Richard«, sagte Sabrina nervös. »Die Menge wird unruhig.«
Jemand schubste einen muskelbepackten Jungen, der sich umdrehte und einem Priester mit Brille einen Schwinger verpaßte.
Dessen Freund wiederum warf sich erbost auf den Schläger, und die beiden stürzten auf eine Pastetenverkäuferin, deren Ware in den Staub fiel. Sie schrie vor Wut. Fäuste flogen durch die Luft, und strampelnde Füße waren zu sehen, wenn einer zu Boden ging. Der Metzger packte sein Hackebeil, um seine Waren zu verteidigen und beobachtete fröhlich das Gerangel.
Sabrina packte Marys Arm, zerrte Richard zwischen sich und ihre Schwester und versuchte, sich durch die Masse schwitzender Leiber zu drängen, die auf die Schlägerei zubrandete.
Mary stolperte, fiel schreiend auf die Knie und verschwand unter den zahllosen Köpfen und Schultern, die sie umringten.
Sabrina versuchte, die Hand über Richards Kopf zu strecken, hielt ihn fest umklammert, als er bei Marys Sturz das Gleichgewicht verlor, und dann erschien Mary plötzlich wieder, genauso schnell, wie sie verschwunden war. Ihr blauer Seidenhut saß schief, und ein scharlachroter Arm hielt ihre Schultern.
Colonel Fletcher bahnte sich einen Weg durch die Menge. Er ging vor Sabrina und Richard her und schützte sie vor den wild um sich schlagenden Fäusten von den Kämpfen, die jetzt überall in der gereizten Menge ausbrachen.
»Haltet Euch an meiner Taille fest«, rief er über die Schulter.
Sabrina packte dankbar seinen Gürtel und zog Richard mit dem anderen Arm fest an sich.
Colonel Fletchers glänzende Stiefel zerquetschten manche Zeh und wirbelten Staub auf, während er einen Fluchtweg durch das Gerangel bahnte. Einmal glaubte Sabrina, den Schlag einer Faust zu hören, dann einen Aufschrei, und sie passierten schnell eine zusammengebrochene Gestalt. Sabrina trat im Vorbeigehen gegen ungeschützte Schienbeine und freute sich, wenn Schmer-zensschreie einen Treffer anzeigten. Sie holte tief Luft, als sie endlich im Freien angelangt waren und der Colonel sie von dem Chaos wegführte.
»Ich danke Euch von ganzem Herzen«, murmelte Mary leise, und Colonel Fletcher musterte besorgt ihr blasses Gesicht. Sein schützender Arm packte ihre schmale Taille fester.
»Ist alles in Ordnung, Lady Mary?« fragte er besorgt.
Sabrina horchte auf.
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