Geliebte Suenderin
Unterarm. »Mary hätte etwas gesagt, wenn Gefahr bestünde. Du weißt, daß sie diese Sehergabe hat.
Also mach dir keine Sorgen.«
Sie streichelte die gespannten Muskeln seines Arms und sagte aufrichtig: »Du weißt, daß ich keinen außer dir mitnehmen würde. Ich vertraue dir vollkommen, Will, dir und deinem Mut.
Vergibst du mir?«
Sabrina lächelte in sein breites Gesicht, das immer noch betroffen war von diesem Angriff auf seinen Stolz. Doch dann mußte er grinsen.
»Klar, Charlie. Ich kann Ihnen nicht böse sein, auch wenn ich weiß, daß ich nicht auf Sie hören sollte.«
Sabrina verabschiedete sich strahlend und winkte Mrs. Taylor, die vom Schlafzimmer herunterschaute, zu. Sie stieg in ihren buntbemalten Wagen und lenkte das Pferd den Weg hinunter, hinaus auf die schmale Straße, die zum Dorf führte. Das Pferd zog den Wagen mit den gelben Rädern im Trab über die Steinbrücke, die den Fluß, der sich durchs Dorf schlängelte, über-spannte. Die Fachwerkwände der alten Mühle ragten über die Brücke, und das riesige Rad drehte sich geräuschvoll. Sabrina fuhr langsam durch die gepflasterte Straße, an den Fachwerkhäusern mit den hohen Giebeln und Blumengärten vorbei, in denen fröhliche Sonnenblumen in der Nachmittagshitze träge ihre Köpfe hängen ließen. Vor dem Marktplatz mit der Taverne, in der durstige Kunden Labsal fanden, bog sie von der Hauptstraße ab. Ein Stück lang war die Kirche zu sehen, deren Turm in den blauen Himmel ragte, bis der Schatten der Kastanien und Ulmen entlang der Straße sie verdeckte. In der Ferne sah sie rotbraune Ochsen friedlich auf grünen Wiesen voller Löwenzahn und Glockenblumen grasen.
Ein schläfriger Nachmittag, dachte Sabrina, während das Pferd gemütlich weiterzockelte und automatisch in die schmale, kurvige Straße einbog, die zu Verrick House führte. Kurz bevor sie die Hauptstraße verließ, verschlug es Sabrina angesichts einer Truppe patrouillierender Soldaten den Atem. Sie packte die Zü-
gel unbewußt fester und mußte sich mit Gewalt beherrschen, um ihr Pferd nicht zum Galopp anzuspornen. Sie wußte, daß es sich um die von Lord Malton und Lord Newley angekündigten Schutzpatrouillen handelte, die auf der Suche nach Bonnie Charlie waren. Sabrina lugte neugierig unter ihrer breiten Hutkrempe hervor und sah den Männern nach, die die Straße entlanggalop-pierten. Den Offizier erkannte sie nicht, das mußte einer der Neuen sein, die man geschickt hatte, um sie zu fangen, dachte sie amüsiert. Er würde nicht so stolz im Sattel sitzen, wenn er sie erst ein paarmal vergeblich gejagt hatte, dachte sie und atmete erleichtert auf, als sie um eine Kurve bogen und nicht mehr zu sehen waren.
Eine von Oleandern und Kirschlorbeerhecken gesäumte Straße führte in den Hof von Verrick House. Dort angekommen, lenkte sie den Wagen zu den Ställen, und ein Knecht kam angelaufen, um ihr zu helfen. Sie ging zum Haupthaus und betrat die Halle, legte ihren Hut ab und stieg die Treppe hoch, in Gedanken schon bei dem geplanten Überfall heute nacht. Sie wollte zu ihrer eigenen Beruhigung zuerst mit Mary reden, obwohl sie eigentlich nicht sonderlich besorgt war.
Sie fand Mary in ihrem Zimmer. Sie saß auf der Bettkante, und ihre hellgrauen Augen starrten ins Leere. Sabrina setzte sich neben sie, nahm ihre kalten Hände und drückte sie.
»Mary«, flüsterte sie. »Mary, ich bin’s, Sabrina.« Sie sah in Marys Augen und versuchte in ihnen zu lesen, aber Mary schaute einfach durch sie hindurch, in eine unbestimmte Ferne. »Mary?«
Mary packe Sabrinas Hände. Sie zitterte, schloß die Augen und seufzte. Sabrina wartete geduldig, denn sie wußte, daß es einige Zeit dauern würde, bis ihre Schwester sich wieder gefangen hatte.
Mary schlug langsam die Augen auf, wandte sich zu Sabrina und lächelte sie an.
»Du hast es gewußt, nicht wahr?« fragte Sabrina.
»Ja. Ich hab’ deine Fragen und Zweifel gespürt, noch ehe du sie selbst bemerkt hast«, erwiderte sie leise, die Trance hielt sie immer noch gefangen. »Ich habe noch nie zuvor ein so seltsames Gefühl gehabt.«
»Was hast du gesehen?« fragte Sabrina besorgt.
»Ich habe ein fremdes Haus und einen Unbekannten gesehen.«
Sabrina klammerte sich an ihre Hände und fragte: »Wie sah er aus?«
Mary runzelte die Stirn. »Er hat eine Narbe über der Wange.
Zuerst hat er mir angst gemacht, aber dann -«
Sabrina schaute nervös in ihren Schoß und nagte an ihrer Unterlippe, während sie Marys Äußerungen
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