Geliebte Widersacher 03 - Zaertlicher Winter
sagte ihr Vater und legte den Stift weg, nachdem sie die Bänder das vierte Mal anders arrangiert hatte, „muss ich doch noch mit Grantham ein Wörtchen reden?“
Sie zuckte zusammen, sah ihn bestürzt an. „Nein! Warum sagst du das? Ich will nicht über ihn sprechen!“
Er lächelte leise. „Ich habe drei Fehler in der letzten Reihe gemacht, Lydia, und du hast nicht einen einzigen gesehen.“
„Ich muss die Stechpalmenzweige richten.“ Sie sah ihn nicht an.
Er sagte nichts. Er war kein Mann, der Sachen sagte , sie dazu überredete, ihre Ängste zu überwinden. Er war … einfach da.
„Warum hast du mich nicht weggeschafft?“, fragte sie.
Seine Augen weiteten sich.
„Das hättest du tun sollen. Parwine hat es dir geraten. Jeder andere hätte es an deiner Stelle getan. Aber du verhältst dich, als sei nichts passiert, als sei ich noch dieselbe, als hätte ich Pagett nie kennengelernt.“
Ihr Vater nahm seine Brille ab und rieb sich den Nasenrücken, wo das Gestell eine Delle hinterlassen hatte. Aber er gab ihr keine Antwort auf ihre Frage.
„Begreifst du nicht, dass ich nicht länger dein kleines Mädchen bin?“, fragte sie ihn.
„Nein. Du bist älter geworden“, sagte er ruhig.
„Älter geworden? Denkst du, das ist es, was ich gemacht habe? Glaubst du, das ist alles, was mir passiert ist? Dass ich einfach älter geworden bin?“
Er zuckte hilflos die Schultern. „Nun, ja. Ich wünschte, es wäre nicht so schnell passiert, so, wie es nun einmal geschehen ist, aber …“ Ein weiteres Achselzucken. „Ich habe nie daran gedacht, dich zu verstecken. Ich nehme an, fast alle würden sagen, dass das ein Fehler war. Aber ich wollte es nicht.“
„Du hast mir noch nicht einmal neue Regeln gegeben, keine neuen Beschränkungen auferlegt. Du hast mich mit Grantham ausgehen lassen, in dem Wissen, dass ich zu den Frauen gehöre, die vielleicht …“
Sie sprach nicht zu Ende. Sie gehörte zu den Frauen, die der Verführung eines solchen Mannes erliegen konnten. Einem auf dunkle Weise gut aussehenden Mann, der offen sprach. Sie würde sich vielleicht von ihm berühren lassen, küssen lassen. Es könnte ihr gefallen, sodass sie mehr wollte.
Er hob die Augenbrauen. „Ich frage dich noch einmal, soll ich mit dem Mann reden?“
„Nein!“
Er deutete mit seiner Hand auf die Schreibtischschublade. „Wenn das nötig sein sollte, kann ich meine Pistole holen und …“
„Nein!“, rief sie entsetzt. „Nein. Aber du erinnerst dich doch, wer er ist, oder?“
Ihr Vater zog die Brauen zusammen. „Er ist ein Arzt. Gibt es da noch etwas, das ich wissen muss?“
„Er ist mit Parwine gekommen. Als …“
Das Gesicht ihres Vaters wurde weiß. Das hatte er nicht gewusst. Ihre Eltern hatten sich so auf sie konzentriert, dass Lydia glaubte, sie hatten von allem anderen um sich herum nichts wahrgenommen. Lydia war diejenige gewesen, die den fremden jungen Mann, der sie schweigend betrachtete, quer durchs Zimmer angestarrt hatte.
Die Hand ihres Vaters zuckte wieder zu seiner Schublade. „Nutzt Grantham sein Wissen, um dir wehzutun?“ Seine Stimme war nur mehr ein Flüstern.
Sie schüttelte entschieden den Kopf. „Er würde mir nie etwas tun.“ Genau genommen war sie sich ziemlich sicher, dass sie ihm wehgetan hatte. „Er hat mir nur klar gemacht …“
Er hatte ihr klar gemacht, wie sehr sie litt.
„Ich möchte nichts erkennen, nichts klar sehen“, sagte sie schließlich.
Diese Worte klangen furchtbar, wenn sie ausgesprochen wurden. Sie hallten in dem Arbeitszimmer ihres Vaters. Lydia legte sich die Finger auf die Lippen, als wollte sie prüfen, ob sie sie ausgesprochen hatte.
Das hatte sie.
„Nun“, sagte ihr Vater. „Ich denke, ich weiß, warum ich dich nicht fortgeschickt habe. Wenn du alt genug bist, dich selbst zu strafen, macht es keinen Sinn, dass ich es ebenfalls tue. Und da ich es nicht tun wollte, habe ich es einfach sein lassen.“
D IE NÄCHSTEN T AGE vergingen wie im Nebel. Lydia lächelte und lachte. Aber sie wusste, es war alles nur eine Lüge.
Ungefähr eine Woche vor Weihnachten brach sie zu einem Spaziergang auf. Sie wickelte sich in einen Mantel, aber kein Schal, egal wie dick, konnte verhindern, dass sie zurückdachte. Und da Weihnachten so dicht vor der Tür stand, konnte sie diese alten Erinnerungen auch nicht fernhalten.
Weihnachtsglocken erinnerten sie an jene lang zurückliegende Zeit, an die nicht zu denken sie sich solche Mühe gab. Sie hatte sich jahrelang
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